15.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Sind Mitglieder der Gefriergemeinschaft, die zum Jahresende aufgelöst wird: der ehemalige Ortsvorsteher Alfons Schweins (l.) und Vorstandsmitglied Gerhard Wietfeld.

Ein eisiger Dinosaurier
ist bald Vergangenheit

Gefriergemeinschaft Fürstenberg löst sich auf

Von Hanne Reimer (Text und Foto)
Fürstenberg (WV). »Ein Dinosaurier stirbt aus«: So beschreibt Dieter Kersebaum das, was sich zurzeit in Fürstenberg abspielt. Dort nämlich gibt es bisher noch eine von ganz wenigen Gefriergemeinschaften, vielleicht sogar die einzige noch existierende in Deutschland. Doch zum Jahresende wird auch sie aufgelöst: Die Zeit hat eine solche Einrichtung nun wohl endgültig überholt.

Doch was ist denn nun eigentlich eine Gefriergemeinschaft? Ganz einfach: In den 1950er-Jahren waren Tiefkühltruhen begehrt, für die weitaus meisten Privathaushalte aber vollkommen unerschwinglich. Abhilfe sollten so genannte Gefriergemeinschaften schaffen, deren Gründung sogar von öffentlicher Hand gefördert wurde.
So auch in Fürstenberg: Seit 1959 stehen in einem Nebenraum des heutigen Dorfgemeinschaftshauses Rote Schule, der der Stadt gehört, in einer langen Reihe 40 Kühleinheiten, die von einem gemeinsamen, laut brummenden Motor Tag und Nacht in Gang gehalten werden. Jede dieser Truhen ist mit einem Schloss versehen und gehört einem Mit-Eigentümer der Gefriergemeinschaft.
Oft gleich mehrere Monatsgehälter, so erinnern sich die Vorstandsmitglieder Dieter Kersebaum und Gerhard Wietfeld, habe in den 50er- und auch noch in den 60er-Jahren die Anschaffung einer Tiefkühltruhe für den eigenen Haushalt verschlungen. Mit damals 500 Mark war es zwar auch eine große Investition, sich in die Gefriergemeinschaft »einzukaufen«, aber eben doch nur ungefähr halb so teuer wie eine Privat-Truhe. Zudem nutzten viele Familien die Möglichkeit, sich ein Fach mit Freunden oder Nachbarn zu teilen.
»Früher gab es hier bei uns im Dorf noch viele Hausschlachtungen«, erzählt Wietfeld. Hatte eine Familie keine Möglichkeit, das Fleisch tiefzukühlen, musste alles sehr rasch weiterverarbeitet werden, damit es nicht verdarb: Stress pur für die Hausfrau und ihre Helferinnen. Besonders dann, wenn es dem Schwein nicht wie üblich im Winter, sondern bei einer Notschlachtung im Sommer ans Leben ging.
Und auch bei Hochzeiten, am Weißen Sonntag oder bei anderen großen Festen machte sich die Gefriergemeinschaft nützlich. Denn neben dem großen Raum mit der langen Reihe von 40 Gefrierfächern befindet sich ein Raum mit Kühlschranktemperatur, in dem Torten, Salate und Schnittchen bestens aufgehoben sind. Dieser Raum übrigens soll auch künftig erhalten bleiben - denn gefeiert wird in Fürstenberg ganz sicher auch in Zukunft noch viel und gern.
Doch Hausschlachtungen gibt es kaum noch, und auch große Gemüsegärten, deren Erträge man tiefkühlen müsste, werden immer seltener. Zudem hat fast jeder inzwischen auch daheim eine Kühltruhe.
Die kostet zwar an Strom, so schätzt Kersebaum, in etwa ebenso viel wie das Gemeinschaftsfach mit 17,50 Euro im Vierteljahr. Doch wer mag schon quer durchs Dorf laufen, um mal eben ein Fischfilet fürs Mittagessen aus dem Eis zu holen?
Und so ist es auch längst nicht mehr so, dass neue Eigentümer ihren Vorgängern Ablösesummen zahlen müssen, wie es früher Gang und Gäbe war. Wietfeld: »Schon seit einiger Zeit würde mancher gerne aussteigen, wenn er bloß einen Nachfolger hätte.«
Weil das immer mehr Mit-Eigentümern so geht, wird die Gemeinschaft nun zum Jahresende aufgelöst. Die Truhen werden abgebaut und entsorgt, wofür nach Kersebaums Rechnung das noch vorhandene Kapital reichen sollte. Der Raum wird renoviert und von der Stadt neu vermietet, als Nutzer ist der Gewerbe- und Verkehrsverein im Gespräch. Und damit wird der Dinosaurier Gefriergemeinschaft dann auch in Fürstenberg endgültig ausgestorben sein.

Artikel vom 15.10.2005