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Rettungsboot als Managerschule

Gütersloher Gesichter: Dr. Reinhard Zinkann lebte 23 Jahre lang in der »Diaspora«

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Die Wandlungsfähigkeit der Firma Miele kostet Überwindung. Das erfuhr der geschäftsführende Gesellschafter Dr. Reinhard Christian Zinkann (46) jüngst am eigenen Leib. Mit dem Verkauf der Küchensparte an die AFG Arbonia Forster AG und dem Verzicht auf die Marke »Imperial« schnitt Zinkann ein Stück persönliche Firmengeschichte ab.

Er selbst hatte die Marke »Imperial« zuvor wieder aufgebaut. Als er 1992 nach Gütersloh zurückkehrte, war die Sanierung des Hausgeräteherstellers sein vom Vater verordnetes Gesellenstück. Auf der Abschiedsfeier in Bünde musste Zinkann viele seiner Kollegen von einst in den Arm nehmen. Die Marke verschwindet. Doch fast alle Arbeitsplätze in Bünde und Arnsberg bleiben erhalten. »Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert«, hat er auf ihre Fragen geantwortet. So wie sein Vater antwortete, wenn er vor schmerzhaften Veränderungen stand.
Solch einen tiefen Einschnitt erlebte Reinhard Zinkann bereits im Alter von zehn Jahren. Damals sandten ihn seine Eltern ins Eliteinternat Schloss Salem am Bodensee. »Meine Geschwister waren schwer erkrankt. Unser Haus glich einer Krankenstation mit permanenter Krankenschwester. Meine Eltern wollten, dass ich unter gesunden Kindern aufwachse. Darum ging ich nach Salem«, erläutert Zinkann. Die Absolventen des Internates wurden darauf vorbereitet, später einmal Führungs-Verantwortung zu übernehmen. »Ich hatte irrsinniges Heimweh, ist doch klar«, sagt Zinkann rückblickend.
Seine Geschwister starben. Die Eltern boten ihrem Jungen an, nach Gütersloh zurückzukehren. Doch Reinhard Zinkann blieb in Salem. Zu diesem Entschluss mögen seine Freunde beigetragen haben, seine Lehrer, der Unterricht - auf jeden Fall aber das Technische Hilfswerk (THW). Weil seine Noten stimmten, durfte Reinhard Zinkann den Truppführerlehrgang absolvieren und die Mannschaft eines Rettungsbootes auf dem Bodensee leiten. »In Gütersloh wäre ich niemals in einem Rettungsboot über einen See geflitzt«, sagt Zinkann. Zu richtig ernsten Einsätzen, auch ins Ausland, sei seine Truppe ausgerückt: »Da mussten Entscheidungen innerhalb von Minuten getroffen werden, um Leib und Leben von Verunglückten zu retten.« Solch einen Schliff suchen Manager heutzutage in teuren Seminaren bei der Bundeswehr.
Zur Ausbildung kamen die reflektierenden Gespräche mit seinem Vater Dr. Peter Zinkann in den Ferien und bei Bedarf auch zwischendurch. »Ich ehre ihn für seine Leistung im Beruf. Als Vater liebe ich ihn«, sagt Reinhard Zinkann. In den Gesprächen wurden Heimweh und Sehnsucht hinterfragt, die Erwartungen der Stadt und des Unternehmens an die Rückkehr des einzigen Zinkann-Sohnes abgewogen. »Glück ist Ordnung in der Seele.« Diesen von Aristoteles stammenden Leitspruch seines Vaters hat der Sohn übernommen.
Nach Salem erwog Reinhard Zinkann kurz ein Studium und eine Verpflichtung bei der Bundeswehr, doch entschied er sich für das Studium der Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft in Freiburg, Harvard und Köln. In seiner Diplomarbeit wies er nach, dass die Verheißungen der 35-Stunden-Woche auf mehr Beschäftigung Illusion bleiben mussten. Seine Doktorarbeit schrieb er an der Technischen Universität Berlin über das »Risiko der Produkthaftung - eine technisch-betriebswirtschaftliche Gestaltungs-Aufgabe.«
BMW nahm Zinkann 1989 als Trainee auf und beauftragte ihn anschließend mit der Koordinierung vorhandener und Gründung neuer Niederlassungen. So lautete die offizielle Aufgabe. Im Tagesgeschäft ging es für Zinkann jedoch darum, alte, eingefleischte BMW-Hasen davon zu überzeugen, dass ein frisch von der Uni hereingeplatzter junger Doktor nicht nur akademischen Unsinn verzapft. Das operative Geschäft wird an der Basis entschieden, nicht auf der Vorstandsetage, das wusste Zinkann. Seine Erfahrungen aus dem Rettungsboot und aus zahlreichen Praktika halfen ihm, in Gesprächen mit Händlern, Monteuren und Lehrlingen die richtigen Worte zu finden. »Wenn man die Mannschaft nicht mit auf die Reise nimmt, hat man schon verloren«, ist Zinkann überzeugt.
Diese Überzeugung teilt auch sein Kompagnon Dr. Markus Miele, der Sohn seines verstorbenen Patenonkels Rudolf Miele. Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter sitzen heute in benachbarten, gläsernen Büros, die Mitarbeiter nennen es »das Aquarium«. Die beiden verstehen sich gut. Dass der Nachname nicht zugleich der Firmenname ist, damit kann die Familie Zinkann seit fünf Generationen leben. Als »Das diskrete Cie« hat ein Fachmagazin die Zinkanns charakterisiert. »Das passt gut«, meint Reinhard Zinkann.
Der zehn Jahre alte Sohn Felix-Reinhard schlug seinem Vater einmal einen Berufswechsel vor: Bootsführer auf dem Starnberger See. »An diesem Einsatzort wäre ich häufiger in seiner Nähe in München«, erläutert Zinkann. Er kann den Wunsch gut verstehen, hat ihn aber abgelehnt. Weil er von seinem Vater wiederum die Leidenschaft für seinen heutigen Beruf geerbt hat.

Artikel vom 15.10.2005