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Deutschland muss wieder
Lokomotive in Europa sein

Mehr Arbeitsplätze erfordern entschlossene Reformen

Von Dr. Reinhard Göhner
Der Arbeitsmarkt steckt nach wie vor in einer tiefen Krise - in Ostwestfalen-Lippe ebenso wie in Deutschland insgesamt. Die Arbeitslosigkeit verharrt weiter auf Rekordniveau, die Beschäftigungssituation ist nach wie vor schlecht. Zuletzt registrierten die Agenturen für Arbeit in Deutschland 4,65 Millionen Arbeitslose. Nicht minder dramatisch ist der Absturz der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Allein innerhalb der vergangenen drei Jahre gingen fast 1,5 Millionen Arbeitsplätze verloren.

In Ostwestfalen-Lippe waren im September diesen Jahres bereits 113 000 Menschen ohne Arbeit. Das sind 13 000 mehr als im vergangenen Jahr. Gar nicht eingerechnet in diese düsteren Zahlen sind die vielen Menschen in Arbeitsförderungsmaßnahmen, die nur aufgrund einer unsinnigen Statistik nicht als Arbeitslose erfasst werden, obwohl sie händeringend nach einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt suchen. Dazu gehören beispielsweise Langzeitarbeitslose mit einem so genannten »Ein-Euro-Job«.
Diese werden in völlig irreführender Weise nicht nur nicht mehr als Arbeitslose, sondern von der Statistik sogar als Erwerbstätige gezählt. Dies täuscht darüber hinweg, dass sich die tatsächliche Beschäftigungslage auch in OWL in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft hat. Allein seit 2000 gingen in Ostwestfalen-Lippe mehr als 50 000 Arbeitsplätze verloren.
Eng verwoben mit der Arbeitsmarktmisere ist die seit Jahren anhaltende deutsche Wachstumsschwäche: Von 1994 bis 2004 wurden hierzulande nur magere 14 Prozent Wirtschaftswachstum erreicht, während die Länder der Europäischen Union im Durchschnitt fast 30 Prozent erzielt haben. Vor allem aufgrund des geringen Wachstums sind in Deutschland weniger neue Arbeitsplätze entstanden als in anderen Ländern. Gleichzeitig vermindern die Ausgaben für Millionen von arbeitslosen Menschen, die aus Mitteln der Sozialversicherung und aus Steuergeldern versorgt werden müssen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes. Die Finanzierung der milliardenschweren Sozialausgaben bedeutet für alle die arbeiten, eine höhere Abgabenlast und für die Unternehmen steigende Lohnzusatzkosten. Das verhindert die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. Darüber hinaus werden die Unternehmen durch eine überbordende Bürokratie, ein starres Arbeitsrecht und ein selbst für Experten kaum mehr überschaubares Steuerrecht belastet. Dies alles trägt dazu bei, dass die deutsche Wirtschaft dauerhaft nur mit angezogener Handbremse fahren kann.
Das gewaltige Ausmaß der Fehlentwicklungen wird besonders an den Beitragssätzen zur Sozialversicherung sichtbar. Betrug der gesamte Beitragssatz zu Beginn der 70er Jahre noch 26,5 Prozent, so verharrt er heute mit 42 Prozent unverändert auf Rekordniveau. Dabei belegen wissenschaftliche Untersuchungen, dass allein durch eine Senkung der Beitragssätze um einen Prozentpunkt bis zu 150 000 neue Jobs entstehen können. Schwere Verstöße der Politik gegen die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft haben Millionen Menschen arbeitslos gemacht und dafür gesorgt, dass weitere Millionen um ihre Arbeitsplätze bangen müssen. Statt dem Leitmotiv »soviel Freiheit wie möglich, soviel Solidarität wie nötig« zu folgen, wurde die Soziale Marktwirtschaft mit immer neuen, gut gemeinten Initiativen ausgehöhlt und den einzelnen Sozialversicherungszweigen immer neue, milliardenschwere Aufgaben aufgeladen. Viel zu lange wurde versucht, diese Fehlentwicklungen mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu beheben. Dies kann nicht funktionieren: Arbeitsmarktpolitik kann keine neuen Arbeitsplätze schaffen!
Mittlerweile ist in der Politik ein neuer Realismus eingekehrt, und es wurden erste Schritte in die richtige Richtung eingeleitet. Die Reformen müssen nun fortgesetzt und vertieft werden. Notwendig ist eine umfassende Offensivstrategie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung insgesamt. Die nächste Bundesregierung muss deshalb schnellstens die Ärmel hochkrempeln. Vordringlich sind jetzt:
l eine Senkung der Lohnzusatzkosten und dazu in einem ersten Schritt eine Verringerung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte.
l ein konsequenter und radikaler Bürokratieabbau mit der Umsetzung der Vorschläge für die Modellregion OWL in ganz Deutschland.
l eine Senkung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung, wie auf dem Jobgipfel im März vereinbart.
l eine Erweiterung der betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Flächentarifverträge.
l die Schaffung eines einfacheren und verständlichen Arbeitsrechtes, um die Zurückhaltung der Betriebe bei Neueinstellungen abzubauen.
Nur mit solchen Reformen kann Deutschland in ĂŠEuropa die Bremserrolle beenden und wieder eine Lokomotive für mehr Beschäftigung und mehr Wohlstand werden.

Artikel vom 22.10.2005