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»Allein im Wald werden
Gedanken wieder frei«

Sebastian Isotow marschierte am Naturbüffet entlang

Von Wilfried Mattner
Hedem (WB). Man muss nicht unbedingt Rüdiger Nehberg heißen und als Überlebenskünstler in einem Bambusfloß den Atlantik überqueren oder sich über unbewohntem Gebiet am Amazonas absetzen lassen. Auch im heimischen Wiehengebirge kann man testen, ob man gut zu Fuß ist, auf weiche Matratzen und gutes Essen verzichten kann und ob der Mut ausreicht, allein im Wald zu übernachten. Sebastian Isotow aus Hedem stellte sich selbst auf die Probe - die er knapp zur Hälfte bestand.

Schon vor zwei Jahren kam der junge Hedemer mit dem befreundeten Jagdbogenschützen Jörg Hülsmann (40) auf die Idee, im Wiehengebirge zu übernachten. Dies setzten beide nach einer Wanderung über zehn Kilometer von Dünne zum Bogenschießstand der »Edelweiß«-Schützen nach Offelten auch in die Tat um - eine weitere folgte nach einem Bogenturnier vor gut einem Jahr. »Das war mir aber zu wenig«, merkte Sebastian Isotow bald. Dem 21 Jahre alten ausgebildeten Kommunikationselektroniker, der sich momantan auf die Fachhochschulreife in Löhne vorbereitet, fehlte allerdings für einen Auslandsaufenthalt das Geld. Und so kam er auf den Gedanken, das vor der Haustür liegende Wiehengebirge für diesen Härtetest zu nutzen. Zu Vorbereitung diente eine weitere Zweitagestour zu Dritt im Juni.
Quer durch sollte es gehen - 230 Kilometer war die Strecke lang. Nach gut 100 Kilometern aber war Schluss: »Meine Füße machten nicht mehr mit, waren voller Blasen; ich hatte wohl das falsche Schuhwerk ausgewählt und schleppte zu viel Gepäck mit.« Dabei hatte er sich gut vorbereitet, den Weg ausgesucht, eine Packliste für den Rucksack zusammen gestellt, ihn »beladen« und sich von vielem getrennt, weil er sonst noch viel schwerer als 17 Kilogramm geworden wäre. »Zahnpustzeug, selbst aufblasbare Isomatte -Êdas braucht man nicht. Und eine einfache Plane statt eines Ponchos zum Zeltbau reicht aus«, stellte Sebastian Isotow fest, der überzeugt ist, bei der nächsten Tour auf noch mehr verzichten und dadurch Rucksackgewicht sparen zu können.
Natürlich hatte er sich auch im Hinblick auf das zur Verfügung stehende Nahrungsmittelangebot vorbereitet. Doch wie so oft: Grau ist alle Theorie. »Man muss die Pflanzen, die man essen kann, in der Natur vorher sehen und sie ausprobieren, man muss üben, einen Gaskocher zu bedienen, man muss trainieren, aus Mehl und Wasser auf einem heißen Stein Brot zu backen«, weiß er nun. Wobei er sich schon gut zurecht fand. »Man läuft ständig an einem Naturbüffet vorbei. Huflattich z.B. kann man roh oder gekocht genießen, Gänseblümchen ebenso wie Buchenkeimlinge und Bucheckern, Löwenzahn auch -Êder ist aber bitter. Brennesseln, die fast wie Spinat schmecken, sollte man kochen, damit sie nicht stechen, Taubnesseln schmecken gut zwischendurch.«
Vitamine und Mineralstoffe gibt es nach seiner Erfahrung reichlich; schwieriger ist es schon mit Eiweißen: »Da darf man nicht zimperlich sein. Heuschrecken bieten sich beispielsweise an, die man roh, aber auch gebraten verzehren kann.« Insgesamt sei ein solcher Marsch aber eine Top-Diät: »In vier Tagen vier Kilogramm abzunehmen ist kein Problem. Meist bin ich hungrig eingeschlafen. Und einen Tag lang habe ich mich nur von Brombeeren ernährt.« Zurück greifen konnte er auf je ein Kilo Mehl und Müsli sowie Brühwürfel für zehn Liter Wasser. Mit Flüssigkeit versorgte sich der einsame Wanderer an Quellen im Wald.
Der Zeltbau war ganz einfach: Den Waldboden polsterte er mit Laub und legte die Isomatte drauf, und über ein zwischen zwei Bäume gespanntes Seil warf er eine Plane, die an den Seiten leicht beschwert wurde. »An die unbekannte Geräuschkulisse im nächstlichen Wald gewöhnt man sich schnell -Êdie Rückkehr ins kuschelige Bett war schwerer«, trauert der 21-Jährige dem Abenteuer ein wenig nach. Auch mit der Einsamkeit hatte er kein Problem: »Man fühlt sich frei.«
Von Hedem über Barkhausen bis zur Wittekindsburg und zurück führte Sebastian Isotows erster »Gewaltmarsch« über rund 100 Kilometer. Beim zweiten Versuch nach dem Fachabitur im Frühjahr 2006 will der aktive Jagdbogenschütze das »Gesamtpaket« von 230 Kilometern erneut in Angriff nehmen: »Dann aber mit deutlich reduziertem Rucksackgewicht. Weil die zweite Hälfte des Weges deutlich schwerer ist als das, was ich diesmal abgelaufen bin.«

Artikel vom 15.10.2005