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Stolperschritte sind schnell
Vergangenheit

Neue Serie: Sportarten im Test

Von Günter Sarrazin
Warburg (WB). Meine geliehenen Inline-Skater sind fest zugeschnürt. Auch die vorschriftsgemäße Schutzkleidung sitzt wie angegossen. Trotzdem gehe ich nur langsam und vorsichtig auf erste Tuchfühlung mit den schnellen Rollen. »So muss es aussehen, wenn es heißt, der geht wie auf Eiern«, schießt es mir durch den Kopf.

»Du bist ja wirklich riesig jetzt. Da kann man tatsächlich Angst vor einem Sturz bekommen«, muntert mich Heribert Otto auf.
Der 44 Jahre alte Freizeitbeauftragte des Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrums St. Laurentius Warburg (HPZ) leitet gemeinsam mit Friedhelm Neuhann, Fachlehrer an der Laurentiusschule, einen Inliner-Kursus für Bewohner und Beschäftigte des HPZ und für einen Gast - nämlich mich. »Selbst aktiv sein, statt nur aufmerksamer Beobachter«, habe ich mir vorgenommen. Verschiedene Sportarten will ich ausprobieren - als erstes Inline-Skating.
Mittendrin, statt nur dabei - im Augenblick bin ich mehr am Rand aktiv. »Ruhig rollen lassen, es kann nichts passieren«, höre ich die Zuversicht ausdrückenden Worte von Heribert Otto. »Versuch einmal, durch den Raum zu fahren. Etwas in die Knie gehen dabei«, ergänzt Friedhelm Neuhann. Der Raum - das ist die Aula des HPZ. Einmal durch den ganzen Saal fahren - das ist es wohl nicht, was ich gerade mache. Es ist mehr ein Stolpern und Stochern. Gut, dass es für meine ersten Schritte auf Inline-Saktern keine Haltungsnoten gibt.
Meter für Meter taste ich mich voran. Bis zur nächsten Wand. Festhalten, Stehenbleiben. Zurückschauen. Ich bin doch schon ein gutes Stück gefahren, ohne zu stürzen. »Geht doch, Günter«, mache ich mir selber Mut.
Schon rolle ich weiter. Bis zur Bühne der Aula. Beim Klammergriff an die Holzumrandung denke ich an meine erste Fahrt auf Schlittschuhen. Das war in der Eissporthalle in Kassel bei einem Ausflug mit der Realschule Warburg. Zig Jahre her, dennoch werde ich nie vergessen, wie ich nach den ersten Stolperschritten auf dem Eis unserem Mathelehrer um den Körper gefallen bin. Er war mein Halt, sonst hätte ich mich voll lang gelegt.
Während ich zurückdenke, merke ich, dass ich schon zweimal durch die Aula des Laurentiusheimes - nein, das heißt ja jetzt des Heilpädagogischen Zentrums und so weiter - gefahren bin. »Geht doch«, lächelt mich Friedhelm Neuhann an und weckt mich aus den Erinnerungen auf.
Plötzlich sind all meine Gedanken wieder darauf konzentriert, bloß nicht zu fallen. Erwachsene sind mit Ängsten behaftet, gehen an alles mit Erinnerungen heran - und ich hatte reichlich Stürze als Kind. Jetzt scheint mir jeder kleine Riss im Fußboden der HPZ-Aula ein gefährliches Hindernis zu sein. Von der Hoffnung erfüllt, dass alles glatt läuft, fahre ich langsam drumherum.
Inliner-Kursus für Anfänger - ich will die wichtigsten Grundtechniken erlernen. Nach einigen Runden im Kreis kommt nun das Fallen. Geht nicht. Das kriege ich nicht hin. Meine Beine sind steif wie Bretter. Und dann diese dünne Matte auf dem Fußboden. Die ist ja keine zwei Zentimeter stark. Ich hatte gedacht, ich könnte mich auf eine Hochsprungmatte werfen. Jetzt aber stehe ich vor diesem Nichts von Turnmatte, soll mich fallen lassen und so abrollen, wie es mir die super-sportlichen Kursleiter vorgemacht haben. Erst auf die Knie-, dann die Ellenbogen- und schließlich auf die Handgelenkschoner. Die Finger beim Abfangen nach oben gerichtet. Kunststück - Heribert Otto und Friedhelm Neuhann können das, beide sind kleiner und beweglicher als ich, beide sind durchtrainiert und seit Jahren Inliner-Fahrer.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit - dann klatsche ich auf die Knie und die Arme. Autsch. Nach dem Aufprall zieht ein kurzer Schmerz bis in meine Schultern. »Nicht wie ein Baum umkippen, abrollen ist gefordert«, sage ich mir immer wieder. Zig Mal übe ich den Sturz auf das rechte Knie. Aus dem Stand, im Fahren. Bei langsamer Geschwindigkeit, bei höherem Tempo. Es klappt. Gleichzeitig übe ich das Aufstehen aus dem Kniestand. Bei jedem Lernerfolg kommt Freude auf. Inliner fahren fängt an, mir Spaß zu machen.
Die erste Stunde ist noch nicht vorbei und ich kann - zumindest auf dem sicheren Terrain der Laurentiusaula - auf den Rollen vorwärts fahren und auf dem Knie landen. Der Knieschoner gibt mir Schutz und ein Gefühl der Sicherheit. Ich kann auf dem Teil rutschen und zur Seite rollen.
Dem Erfolgserlebnis schließen sich weitere an. Am zweiten Kursabend hebe ich im Fahren Dosen vom Boden auf, stelle zwei Dosen übereinander, sammele sogar ein Bonbon vom Boden auf. Schließlich fahre ich über ein Seil, das wie ein Stein ein Hindernis darstellt. Ich fahre durch die Eingangstür über den Flur und auf der anderen Seite wieder in die Aula. Ich bücke mich, werde schneller, spüre Fahrtwind. Die Verkrampfung des ersten Abends ist einer gewissen Leichtigkeit gewichen.
Dieser Sport macht Spaß. Inliner fahren stärkt das Herz-Kreislaufsystem, verbessert die Fitness, ist gelenkschonend und mit etwas Übung und Körpergefühl schnell zu erlernen. Nach der Arbeit ist es ein idealer Sport, um den Kopf frei zu bekommen, um die Natur zu genießen. Ob ich jedoch fit für die Straße bin, wird sich erst beim weiteren Üben zeigen. Mein größtes Manko bisher: am dritten Kursabend wurde das Bremsen geübt - da habe ich gefehlt.

Artikel vom 14.10.2005