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Historisches aus Enkel-Sicht

Der Titel des neuen Buches: Theodorianer haben Erlebnisse aufgezeichnet.

Kriegserlebnisse: Ehemalige Theodorianer führten Zeitzeugengespräche

Von Manfred Stienecke
(Text und Foto)
Paderborn (WV). Das festzuhalten, was vielleicht in wenigen Jahren schon nicht mehr möglich sein wird, hat fünf ehemalige Theodorianer zu einem Interview-Marathon bewegt. Jetzt wird aus ihren Zeitzeugengesprächen ein Buch.

Die damaligen Gymnasiasten Dominik Gehling, Volker Gehling, Jonas Hofmann, Holger Nickel und Christopher Rüther hatten sich vor fünf Jahren erstmals zusammengesetzt, um die jüngere Paderborner Vergangenheit aufzuarbeiten. Insgesamt 22 Bürger, die die Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 über den Zweiten Weltkrieg bis zum Wiederaufbau 1948 in der Paderstadt miterlebt haben, wurden von ihnen mit Schreibblock und Tonband aufgesucht. »Unsere Absicht war es, aus Enkel-Sicht die Atmosphäre jener Zeit wiederzugeben«, erläutert Dominik Gehling.
Aus der zunächst nur ungefähren Idee wurde schnell eine umfangreiche Nachmittags- und Wochenendbeschäftigung. Bis zu viereinhalb Stunden dauerten die Einzelinterviews mit Zeitzeugen wie Altbürgermeister Wilhelm Lüke, Ehrenlandrat Joseph Köhler, dem ehemaligen Direktor des Theodorianums, Franz-Josef Weber, und dem langjährigen Lokalchef des »Westfälischen Volksblatts«, Georg Vockel. Sie alle waren in der fraglichen Zeit Jugendliche, die damals schon mit offenen Augen und wachem Geist die Entwicklung verfolgten und denen sich die Erlebnisse einprägten.
Damit nun im November das Zeitzeugen-Buch unter dem Titel »...das müssen Sie mir alles aufschreiben!« - eine wörtliche Nachkriegs-Aufforderung übrigens von Lorenz Kardinal Jaeger an den Paderborner Heimkehrer-Pfarrer Hermann Bieker - erscheinen kann, waren zeitraubende Vorarbeiten nötig. In nächtelanger Arbeit mussten die fünf Theodorianer, die mittlerweile alle das Abitur abgelegt und ein Studium aufgenommen haben, die Tonbänder abtippen, die Manuskripte gegenlesen und korrigieren lassen und die Interviews anschließend in einen lesbaren Zuschnitt bringen. Mit dem heimischen Schöningh-Verlag fanden die Autoren einen kompetenten Partner für ihr Projekt. Lektor Michael Werner war dem Quintett sowohl beim Aufbau des Buches wie beim Vorwort behilflich, so dass die Zeitzeugen-Berichte jetzt in Druck gehen können.
Angestoßen worden ist das Projekt von Jonas Hofmann (19), der im April 2000 bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Niederhagen in Wewelsburg vor allem von den authentischen Berichten zweier KZ-Überlebender tief berührt wurde. Bei einigen Schulkameraden stieß er mit seinem Vorschlag auf Interesse, so dass im Herbst 2000 die Arbeitsgruppe gegründet wurde, die sich auch der Unterstützung einiger Lehrer und der Schulleitung sicher sein konnte.
Dass man mit dem Projekt kein Jahr zu früh begonnen hatte, sollte sich schon bald zeigen. Noch bevor der damalige Erzbischof Johannes Joachim Kardinal Degenhardt die fünf Theodorianer zum versprochenen Gespräch empfangen konnte, ereilte ihn der Tod. Inzwischen sind mit Pfarrer Hermann Bieker und dem Ehemann der jüdischen Autorin Jenny Aloni-Rosenbaum, Ezra Aloni, zwei weitere Zeitzeugen, die noch interviewt werden konnten, verstorben.
Gefragt haben die fünf Hobby-Historiker, von denen übrigens kein einziger das Geschichtsstudium ergriffen hat, nicht nur nach dem Alltagsleben und der Schulzeit im Hitler- und Nachkriegs-Deutschland, sondern auch nach politischen Beobachtungen und Erfahrungen. Zu den eindrucksvollsten Schilderungen, die vollständig abgedruckt werden, gehören die Erinnerungen des KZ-Überlebenden Kurt Steinitz, der heute 98-jährig in Paderborn lebt und von den Fünf noch regelmäßig im St.-Vincenz-Altenzentrum besucht wird.

Artikel vom 13.10.2005