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Kunst weicht Kamikaze-Fahrern

Nirgül läuft mehr in Brandenburg - Fuß gezerrt, aber kein bisschen müde

Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). »Sie hat uns geschafft.« Fotograf Andreas Siekmann und Klaus-Peter Timpe, die die Aktionskünstlerin Nirgül Kantar auf ihrem zehnfachen Marathon von Minden nach Berlin begleiten, sind müde. Und das, obwohl sie die 35-Jährige im Mercedes-Sprinter begleiten. Während ihrer gestrigen siebten Etappe ist die Künstlerin aufgekratzt. »Ich kann doch nicht so tun, als ob ich müde wäre.«

Unaufhaltsam zieht Nirgül mit ihrer »rollenden Kunst« weiter. Gestern hat sich die Kunst allerdings dem Verkehr gebeugt. »Reifen quietschen, Lastwagen und Autos hupen. Es hat zwei Beinahe-Unfälle gegeben.« Die Stadt Genthin an der Bundesstraße 1 hat sie deshalb in der Etappe ausgelassen. Dort hätte sie weiter auf der Straße laufen müssen. »Das sind Kamikaze-Fahrer. Die Kreuze am Straßenrand waren mir bei meinem Test-Lauf gar nicht aufgefallen.« Die fünf »ausgesparten« Kilometer hat sie gestern in Brandenburg nachgeholt, um auf 42 Kilometer täglich zu kommen. »In der Stadt ist es viel spannender.«
Allein in Magdeburg sei sie acht Kilometer durch die Stadt gelaufen. »Kunst trifft Kunst« am Hundertwasser-Haus, »Kunst trifft Menschen« im Kaufhaus. Und das, obwohl sie sich bei der Etappe Helmstedt den rechten Fuß gezerrt hat. »Ich bin aus Versehen 44 Kilometer gelaufen und gestolpert«, erzählt Nirgül Kantar. »So lange der Fuß nicht gebrochen ist, geht es weiter.« Zwischendurch vergisst sie die Schmerzen, gestern Morgen ist sie allerdings mit einer dicken, quälenden Schwellung aufgewacht. »Mein Therapeut möchte das nicht mehr verantworten. Es gibt andere. Heute Abend lasse ich mich im Hotel verwöhnen.«
»Ich habe so vielen Kindern versprochen, dass ich in Berlin ankomme«, sagt Nirgül Kantar, die die Portraits der »engagierten Gesichter« - davon die von fünf Personen aus Schloß Holte-Stukenbrock - auf einer Staffelei hinter sich herzieht. »Ein Künstler hat ein Leben lang Gegenwind«, wird sie am Handy gar ein wenig philosophisch, während sich ihre Staffelei an einer Leitplanke verhakt und auch noch ihre Haare einklemmt. »Der Weg zeigt alles.« Fußgänger gehen ein Stück mit, anfangs auf der anderen Straßenseite. Selbst die Engagierten verließen sie nach spätestens fünf Kilometern wieder.
Nirgül läuft zwei Tage je 42 Kilometer und macht dann einen Tag Pause. Heute wird sie Potsdam und den Park Sanssouci erreichen - »richtig mit Schmackes«. Für die Menschen ist sie die Sensation - eine türkisch-stämmige, kleine Marathon-Frau. Die in den Hotels übrigens hofiert - und mit kalorienreichen Speisen gemästet wird. Kalorien verbraucht sie genug. Bei 16 Grad Celsius kommt man beim Laufen ganz schön ins Schwitzen. Gleichzeitig mit dem zehnfachen Marathon hat die Versteigerung der Kinderbilder im Internet begonnen. Erste Gebote sind eingegangen. Das ersteigerte Geld kommt den Kindergärten und Einrichtungen in vollem Umfang zugute. Fürst Alexander zu Schaumburg-Lippe hat bereits zugesagt, ein Bild zu ersteigern. Bis zum 21. Oktober kann geboten werden. »Nach Berlin muss ich erst mal zu mir kommen. Eine Woche Ruhe - und dann wird mit Hochdruck versteigert«, sagt Nirgül. Sie will heimische Firmen aufrufen, für die Kindergärten mitzusteigern. Die Künstlerin und die »Maler« werden das Bild persönlich beim Meistbietenden abgeben. »Es ist für eine gute Sache. Für die Zukunft unserer Gesellschaft - unsere Kinder.«
www.rollende-kunst.de

Artikel vom 11.10.2005