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Das Wort zum Sonntag

Von Diakonin Jutta Witte-Vormittag


Liebe Anja,
ich sitze im Zug in den Urlaub und denke daran, was Du mir gestern von Dir und Deiner Freundin erzählt hast. Dein Vertrauen ist enttäuscht worden. Du hast ihr Dein Herz ausgeschüttet, aber sie hat Dein Geheimnis weitererzählt. Deinen Ärger kann ich gut verstehen. Du fühlst Dich ohnmächtig und bist voller Wut. Dieser Freundin wirst Du so schnell nichts mehr erzählen.
Deine Sorgen sind noch größer geworden, weil Du Dich fragst, wer Dein Vertrauen wert ist. Vertrauen ist ein Geschenk und hat immer mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Du entscheidest selbst, wem Du Dein Vertrauen schenkst, und merkst an anderen, ob und wie vertrauenswürdig Du wirkst. Vertrauen geben und Vertrauen leben gehören unmittelbar zum Menschsein.
Jemandem etwas zu erzählen, was mich innerlich bewegt, oder etwas erzählt zu bekommen, was noch niemand zuvor gehört hat, gehört zu den glücklichen Momenten in meinem Leben. Ich wünsche Dir, dass Du solche Erfahrungen bald wieder machen kannst.
Mir ist nach unserem Gespräch ein Vers aus dem 62. Psalm eingefallen: Jemand, der verzweifelt ist, wendet sich an Gott und setzt all sein Vertrauen auf ihn. Daraus kann er neue Hoffnung schöpfen, und erleichtert ruft er: »Ihr könnt Gott vertrauen und ihm euer Herz ausschütten!«
Wir erfahren nicht, welche Sorgen er hatte. Da können wir nur mutmaßen. Ich möchte auch nicht blauäugig sein und weiß, dass sich Probleme nicht in Luft auflösen. Aber dieser Psalm erzählt von einer Erfahrung: In Krisen können wir Halt bei Gott finden. Zuweilen verwandelt er uns das sogar und lässt uns neues Vertrauen fassen - zu Gott und zu den Menschen. Das wünsche ich Dir, liebe Anja, dass sich Deine Sorgen so verwandeln.
Mit lieben Grüßen, Deine Jutta

Der Psalm 62 nimmt das Thema Vertrauen auf. In den Versen wird ein Klagelied zu einer Vertrauensaussage umgestaltet. Ein gebrochener Mensch wendet sich in seiner Not an Gott und hofft auf Hilfe. Bei Gott erfährt er Sicherheit und in seiner Seele wird es wieder still. Er hat neu Boden unter den Füßen. Er erhält Zuspruch, wird getröstet und erfährt Gottes Schutz. Aus seiner Dankbarkeit heraus formuliert er die persönliche Erfahrung als Bekenntnis. Der Zuspruch Gottes hat ihn gestärkt und ihm neuen Lebensmut geschenkt. Die Botschaft des 62. Psalms heißt: Wir sind bei Gott geborgen und können ihm vertrauen. Dieser Psalm schenkt Lebensmut und ist ein Begleiter der Hoffnung, dass Gott unser Leben trägt.

Gott vertrauen:
beten
ihn anrufen
klagen
schreien
fürbitten sprechen
hoffnung schöpfen

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Wochenende und die Gewissheit, dass Gott jede Klage verwandeln kann.

Artikel vom 08.10.2005