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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Rainer Wilmer


Reden ist silber, Schweigen ist gold! Wirklich? Wes des Herz voll ist, des geht der Mund über, so sagt der Volksmund. Dinge, die mich bewegen, Fragen, die mich interessieren, Aktionen, die mich begeisternÉ davon will ich sprechen. Und wenn man von etwas so bewegt wird, findet man Zuhörer, die - vielleicht ein wenig amüsiert über meinen Überschwang - zuhören.
Ich muss natürlich auch alles das, was mich ärgert, loswerden, ohne jetzt nur zu meckern. Über schöne Dinge redet man gerne, über anderes vielleicht nicht. Aber jeder weiß, dass es gut tut, sich von Zeit zu Zeit auszusprechen, sich Belastendes von der Seele zu reden. Und dann ist es gut, wenn wir jemanden kennen, an den wir uns wenden, dem wir vertrauen können. Jemand, der erst einmal zuhört und nicht sofort ins Wort fällt, jemand, der sogar das Schweigen aushält und der spüren lässt, dass wir verstanden werden. Jemand aber auch, der nicht von vornherein alles weiß. Und es kann sogar gut sein, wenn ich jemanden habe, der mir auch mal widerspricht, der mir sagt, was gesagt werden muss. Für alles das brauche ich ein Gegenüber. Und so jemand ist nicht so leicht zu finden.
Es ist wichtig, sich einmal auszusprechen. Manchmal wird mir erst dadurch, dass ich etwas formuliere, wirklich klar, wie es um mich steht. Erst indem ich Worte finde, verlieren Gefühle ihren diffusen Schein. Sie werden greifbar, verständlich. Durch das Aussprechen gewinne ich aber auch Abstand zu dem, was mich bedrängt. Und so kann ich es dann vielleicht mit anderen Augen sehen, lernen und so erfahren, dass ich nicht alleine damit fertig werden muss
Ich denke jede und jeder hat das schon einmal erlebt. Wenn man ein derart gelungenes Gespräch geführt hat, dann fühlte man sich geborgen, konnte einmal durchatmen. Schon allein das kann eine große Hilfe sein.
Im Psalm 62,9 steht die Ermutigung: »Vertrau ihm, Volk Gottes, zu jeder Zeit! Schüttet euer Herz vor ihm aus! Denn Gott ist unsere Zuflucht.«
Christen haben durch Israel die Erfahrung gemacht, dass der biblische Gott mit durchs Leben geht, dass er jemand ist, der in den Höhen und auch den Tiefen unseres Alltags begleitet und trägt. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie in der kommenden Zeit diese Erfahrung machen können.

Artikel vom 08.10.2005