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Das Wort zum Sonntag

Jutta Hoppe

Von Jutta Hoppe


Gott spricht: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1. Mose 8,22).
Vier Tage erst war es her, dass Sigrid ihren Mann verlassen hatte. Sie hatte ihn einfach nicht mehr ertragen können. Seine dauernden Verdächtigungen, die ständige Kritik, sein Jähzorn und Egoismus waren immer stärker geworden. Vor vier Tagen war das Fass übergelaufen. Eben kam sie vom Rechtsanwalt, um die Scheidung einzureichen. Nun ging sie durch die Straßen ihrer Stadt und stand zufällig vor der Kirche, in der sie konfirmiert worden war. Sie ging, wie von einer heimlichen Macht geleitet hinein, vielleicht um Ruhe zu finden. Und wie es der Zufall wollte, wurde sie durch eine Kurzandacht aus ihren Gedanken gerissen.
Der Pfarrer sprach über ein Wort aus der Noahgeschichte. Sie kannte es noch gut von ihrer Zeit aus dem Konfirmandenunterricht: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« Ein beruhigendes Wort.
So hatte sie es jedenfalls immer empfunden. Aber jetzt bäumte sich etwas in ihr auf. Das war doch zu naiv, alles einfach in Harmonie zuzudecken. Warum stand da nicht auch: Es wird nicht aufhören Hass und Streit, Verletzen und Verlassen, Zerstören und Beleidigen? Aber dann sprach der Pfarrer auch von der Sintflut, der Strafe Gottes für das böse Verhalten der Menschen. Allerdings hatte sich dadurch das Verhalten der Menschen nicht geändert. Denn Gott musste feststellen: »Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.« Dennoch sprach er: »Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was lebt, wie ich es getan habe.«
Gott hat sein Vorhaben mit den Menschen geändert. Das war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Fast ungeheuerlich erschienen ihr diese Worte. Aber es stimmt wohl: Weil - oder obwohl - Versagen und Schuldigwerden zum Menschsein gehören, verspricht uns Gott eine stabile Lebenswelt, die in dem Andachtswort beschrieben wird: »Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter sollen nicht aufhören.«
Besonders gepackt hatte Sigrid der Schluss der Andacht. Der Pfarrer hatte ungefähr gesagt: Gott ist barmherzig. Er steht treu zu uns und gibt uns in dieser Lebensordnung reale Lebensmöglichkeiten.
Irgendwann verließ sie die Kirche verstört und betroffen. Sie fragte sich: Müsste sie nicht barmherziger werden? Wieder kam ihr in den Sinn, was der Pfarrer gesagt hatte - dass Gott barmherzig ist.
Unglaublich eigentlich! Aber war das nicht vielleicht der Schlüssel dafür, dass ihr Miteinander, ihre Beziehung zu ihrem Mann mit all seinen Schwächen einen neuen Anfang machen könnte?

Artikel vom 08.10.2005