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Lockeres Intrigenspiel im Knusperhäuschen

»Hänsel und Gretel« einmal anders - Komödiantischer Musikgenuss im Schatulle-Pavillon

Wehe (hek). Wer sagt, dass Hexen bucklig und böswillig sind? Und war die kleine Gretel wirklich so redlich und harmlos, wie es die Brüder Grimm zu berichten pflegen? - Die Revue »Hänsel und Gretel« im Weher Schatulle-Pavillon räumte mit veralteten Märchen-Klischees auf.

Es war einmal an der Gemüsetheke eines Bioladens, als die Eltern von Hänsel und Gretel einander fanden. Beide waren zu diesem Zeitpunkt bereits geschieden. In der Hoffnung, dass sich die Kinder aus erster Ehe miteinander verstünden, zogen sie zusammen.- Schon der Anfang der reizend skurrilen Märchenparodie war alles andere als typisch. Die Pianistin Ursula Daues führte als wortgewandte Erzählerin und musikalische Begleitung durch das satirisch-ironische Stück.
Die beiden diplomierten Opernsänger Daniel Lager und Nicola Heise schlüpften im stetigen Rollenwechsel in die unterhaltsam verfremdeten Charaktere: So beschränkt sich Hänsels Interessenspektrum auf Süßigkeiten. »Früchte-Eis, Ananas, Kirsche, Banane - aber bitte mit Sahne«, schließt sich der bekennende »Schokomane« den Worten von Udo Jürgens an. Gretel ist nicht etwa das unschuldig-sittsame Mädchen, sondern ein frühreifes »Girlie«. »Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann«, aus diesen Liedzeilen spricht der wilde Entschluss, ihr »unerhört solides« Leben umzukrempeln.
Als die Eltern zu einem romantischen Kurztrip aufbrechen, bietet sich hierzu Gelegenheit: Auf der Eröffnungsparty des Konditoreigeschäfts namens »Wallys Schokoladen-Häuschen« möchte Gretel die Männerwelt erobern. Doch nicht sie, sondern der kleine Stiefbruder findet sein Beziehungsglück: Nicht nur die zartschmelzende Versuchung in den Regalen, sondern auch die rot-gelockte Geschäftsinhaberin Walburga entpuppt sich als überaus sinnlich. Sie ist - trotz fortgeschrittenen Alters - die von Connie Francis besungene »Sexy Hexy«.
Frustriert von erfolglosen Annäherungen an das männliche Geschlecht, entdeckt Gretel das Liebespaar. Rasende Eifersucht nimmt von ihr Besitz: Der Stiefbruder gehört ihr, ist der Mann ihres Lebens. Die »verstoßene und zertrümmerte« Gretel, in dieser Szene gespielt von Daniel Lager, verleiht ihrem Schmerz in Mozarts »Arie der Königin der Nacht« Ausdruck. Schließlich greift sie zu einem »perfiden Plan«: Um Wallys Todesurteil zu vollstrecken, reicht sie ihr vergiftete Pralinen.
Doch um auch noch die letzte Fehlinformation im Märchenbuch zu enthüllen: Am Ende ist die irrtümlich als Hexe verschriene Walburga gar nicht tot. Die Scheintote erwacht aus ihrer Betäubung. Im Eifersuchtswahn hatte Gretel das Gift wohl unterdosiert. Am Ende wartet das Happyend - ganz ohne Leiche: Hänsel und Wally leiten ein Konfekt-Imperium. Gretel steigt zum begnadeten Broadway-Star auf und die Eltern leben glücklich und ahnungslos, ohne jemals zu erfahren, was die Sprösslinge in ihrer Abwesenheit getrieben haben.
Evergreens, Stücke aus Musical und Operette, eingebettet in eine sympathisch-skurrile Märchenparodie - diese originelle und klangbrillante Kombination ließ sowohl komödiantisch als auch musikalisch keine Wünsche offen.

Artikel vom 30.09.2005