27.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Stillstand ist für ihn ein Fremdwort

Der polnische Trompeter Tomasz Stanko eröffnet neue Reihe »Jazz in Gütersloh«

Von Collin Klostermeier
Gütersloh (WB). Tomasz Stanko ist immer in Bewegung. Statisches Verharren vermeidet der 63-jährige Jazz-Trompeter aber nicht nur durch die nunmehr 40 Jahre andauernde, konsequente Weiterentwicklung seines Schaffens, sondern auch auf der Bühne. Am vergangenen Samstag konnte man die musikalische wie auch die physische Beweglichkeit dieses europäischen Ausnahmemusikers im ausverkauften ehemaligen Jugendzentrum beobachten, wo der polnische Trompeter mit seinem Quartett die Jazzsaison 2005/2006 mit einem feinen Konzert, angefüllt mit Improvisationskunst und verblüffenden Ideen, eröffnete.

Zur Vermeidung jeglichen musikalischen Stillstands umgibt sich Stanko zudem seit zehn Jahren mit drei jungen polnischen Musikern. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind exzellente Alben, allesamt erschienen beim renommierten ECM-Label. Mit dem jüngsten Werk, dessen Titel »Suspended Night« auch zum Namensgeber der aktuellen Tour wurde, stieg Tomasz Stanko auch im Bezug auf das Medienecho endlich in die erste Jazzliga auf. Man durfte also zu Recht gespannt sein auf das polnische Quartett.
Dies wiederum hatte keine Mühe, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Schon nach dem ersten Stück aus der langen Reihe der dargebotenen »Suspended Variations« war klar, dass nicht nur Stanko selbst, sondern auch seine drei erstklassigen Mitspieler, allen voran der sensationell virtuose und ideenreiche Marcin Wasilewski am Klavier, aber auch Bassist Slawomir Kurkiewicz und der angenehm sensible Schlagzeuger Michal Miskiewicz das Zeug zum Bandleader haben.
Eitelkeit ist allerdings nicht die Sache des Tomasz Stanko Quartetts, und so tun sich die vier Virtuosen lieber zusammen, um auch live das volle Potenzial der abwechslungsreichen, mal kraftvollen, mal weich-melancholischen Kompositionen Stankos herauszuholen. Dies gelang im Jugendzentrum mit eindrucksvoller Souveränität, exaktem Zusammenspiel und ebenso raffinierten wie pointierten Improvisationen.
Stanko selbst schleicht dabei unentwegt, aber dennoch entspannt über die Bühne, ist also, wie gesagt, ständig in Bewegung, als wolle er die Teile seines Quartetts auf diese Weise noch enger zusammenschnüren. Die kompakte Einheit der Musik machte die spontanen Solo-Ausbrüche, an denen sich alle vier Musiker abwechselnd beteiligten, noch spannender; hier ist es der Gelassenheit und Meisterschaft Tomasz Stankos zu verdanken, dass er seinen genialen Pianisten nach Herzenslust gewähren ließ, ohne dabei mit der leider allzu vielen Musikern zu eigenen Geltungssucht selbst in die erste Reihe vorzupreschen.
Das hatte er auch gar nicht hat nötig, bestachen seine Improvisationen doch durch tiefgründige Intimität, die allenfalls mal durch ein paar in die hohen Tonlagen ausufernden Skalen durchdrungen wurde. So mischte sich in die allgegenwärtige Begeisterung beim Publikum vor allem die Erkenntnis, dass europäischer Jazz mit seinen amerikanischen Vorbildern konkurrieren kann.

Artikel vom 27.09.2005