01.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Spareffekte durch Bündelung kommunaler Aufgaben

WB-Interview mit Landrat Backhaus: »Bei allen Entscheidungen die Bevölkerungsentwicklung berücksichtigen«


Das Thema »Demographische Entwicklung im Kreis Höxter« wird die Kommunen immer stärker beschäftigen, weil die Auswirkungen der Überalterung der Gesellschaft konkret spürbar werden. Was hat der Kreis Höxter in der Vergangenheit unternommen, um die Problematik stärker ins Blickfeld der Entscheidungsträger und der Bürger zu rücken?
Backhaus: Da ich in verschiedenen Gesprächen festgestellt habe, dass das im Kreistag vorgestellte Gutachten des Pestel-Instituts, Hannover, vom Juni 2004 in den Städten nicht in erforderlichem Umfang thematisiert und damit bisher auch nicht bei politischen Entscheidungen ausreichend Berücksichtigung gefunden hat, wurde am 17. Juni - auf Initiative des Kreises - ein Symposium in der Stadthalle in Höxter unter dem Titel »Demographischer Wandel - Herausforderung für die Menschen im Kreis Höxter« angeboten. 200 von mehr als 800 eingeladenen Personen haben die Expertenvorträge gehört. Auch bei den Haushaltseinbringungen 2003 und 2004 sowie bei einer Vielzahl von Vorträgen habe ich mit Schaubildern auf die besondere demographische Entwicklung hingewiesen. Dass ich seit Jahren bemüht bin, bestimmte kommunale Aufgaben im Kreisgebiet zu bündeln, ist bekannt. Auch der Kreistag ist inzwischen sensibilisiert für die kommende Entwicklung.

In welchen Bereichen ist eine Zusammenarbeit möglich, um den demographischen Veränderungen im Kreis Höxter Rechnung zu tragen?Backhaus: Im Beschaffungswesen arbeiten wir bereits mit den Städten zusammen, denn hier lässt sich einiges einsparen. Der Versuch, die Aktivitäten im Tourismusbereich kreisweit zu bündeln, ist leider bisher nicht von Erfolg gekrönt. Dass der Kreis Höxter als einziger Kreis in NRW das Abfalleinsammeln und das Abfallentsorgen gebündelt hat, hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Wir haben darüber hinaus 25 Millionen Euro als Nachsorgerücklage für Abfallentsorgungsanlagen an die Seite gelegt, damit die nachfolgenden Generationen nicht noch für den Müll bezahlen müssen, den wir verursacht haben. Leider beteiligen sich bisher nur acht der zehn Städte. Die Abfallgebühren konnten seit 1996 stabil gehalten werden, obwohl die Preise für Transport und Entsorgung erheblich gestiegen sind. Das bereits Ende der 90er Jahre installierte Schulintranet, das den Zugang ins Internet für alle Schulen im Kreis optimieren und preiswerter gestalten sollte, wurde leider nicht fortgeführt. Der Kreis beschäftigt aber mittlerweile zwei Systembetreuer für die PC-Systeme in allen Schulen des Kreises, an dem sich mittlerweile neun Städte beteiligt haben.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Problemen der Bevölkerungsentwicklung Herr zu werden?Backhaus: Da die Problematik der geringen Geburtenrate seit mehr als 30 Jahren bekannt ist, habe ich bereits 1988 an den damals zuständigen Bundesminister Norbert Blüm geschrieben und erneut 1999/2000 über die CDU versucht, mit einem konkreten Antrag die Sozialsysteme, die auf dem Generationenvertrag beruhen, stabiler zu gestalten. Die Anträge beinhalten konkret, dass alle diejenigen, die gewollt oder ungewollt aus dem Generationenvertrag ausscheren, speziell für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung eigene Beiträge zu zahlen haben. Das heißt im Klartext, dass Kinderlose neben einem allgemeinen Beitrag einen Sonderbeitrag für die eigene Absicherung im Alter - der in einem Kapitalstock angelegt wird - zahlen müssen. Dies habe ich beantragt, da absehbar ist, dass in spätestens 20 Jahren die junge Generation die Kosten nicht mehr wird tragen können. Zuletzt habe ich Bundesministerin Ulla Schmidt in Berlin vorgehalten, dass die Bundesregierung die Rentenversicherung bewusst in die Verschuldung treibe. Sie hat in einer Landrätekonferenz diesen Vorwurf zurückgewiesen und erklärt, man würde nicht an Beitragserhöhungen denken, sondern statt dessen auf die Guthaben bei der Rentenversicherung zurückgreifen, so lange diese da seien. Diese Ignoranz ist - wie kürzlich bekannt wurde - schon bestraft worden, da die Rentenversicherer aus eigener Kraft die Rentenzahlungen nicht mehr werden leisten können.

Schulamtsdirektor Hermann Schmitz hat detailliert die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Schullandschaft im Kreis Höxter ermittelt. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus, dass die Schülerzahlen massiv zurückgehen?Backhaus: Ein wesentliches Problem sind die 900 Grundschüler, die seit 1999 in den Grundschulen im Kreis Höxter fehlen. Gingen im Schuljahr 1998/99 noch 8200 Jungen und Mädchen in die Grundschulen, sind es im neuen Schuljahr 2005/06 nur noch 7280. Die Prognose für das Schuljahr 2011/12 liegt bei nur noch 5597! Daraus folgt, dass viele Zwergschulen nicht nur im Bestand gefährdet sind, sondern auch viele Angebote nicht mehr leisten können. Die Qualität des Unterrichts ist jedoch heute das Wichtigste, und die kann bald nur noch von größeren Grundschulen gewährleistet werden. Man sollte daher im Interesse der Kinder denken: Die Qualität einer Grundschule muss doch an erster Stelle stehen, auch wenn die Kinder dann leider längere Schulwege in Kauf nehmen müssen. Es gibt zurzeit für 124 Dörfer 42 Grundschulen. Die Mehrheit der Kinder muss also heute schon fahren. Fazit: Wir müssen unsere Schullandschaft - das gilt auch für die Kindergartenversorgung - so aufstellen, dass sie sich auch in zehn Jahren noch trägt. Und das hat in den kommenden zwei Jahren zu geschehen. In den Städten muss die Bereitschaft wachsen, über die Stadtgrenzen hinaus zu kooperieren. Wir sollten unseren Kindern den Bildungsstand geben, mit dem sie bestehen können.

Glauben Sie, dass die Probleme der Demographie bei Mandatsträgern, politisch Aktiven und Bürgern in ihrer Tragweite erkannt werden? Backhaus: Nein, aber das ändert sich langsam. Bei Entscheidungen müssen wir über den Tellerrand von fünf Jahren hinaus blicken. Man muss aus den Zahlen Schlüsse für sein Leben und seine Verantwortlichkeit ziehen. Bei allen Entscheidungen müssen wir das Wissen über die demographische Entwicklung und die damit verbundenen Probleme berücksichtigen, auch wenn das weh tut.
Die Fragen stellte WB-Redakteur Michael Robrecht.

Artikel vom 01.10.2005