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Von Pfarrer Bernd Kollmetz

Das Wort zum Sonntag


Die zehn Gebote sind im Bewusstsein der Menschen sehr tief verankert. Sie gehören unter den biblischen Texten zu den bekanntesten. Und Charles de Gaulle hat über das Besondere der Gebote gesagt: »Die zehn Gebote sind deshalb so klar und verständlich, weil sie ohne Mitwirkung einer Sachverständigenkommission zustande gekommen sind.«
Wenn wir uns heute die Gesetzesvorschriften vor Augen halten, dann kann man dem nur zustimmen. An Klarheit, aber auch an Deutlichkeit lassen die von Gott gesetzten Gebote nichts zu wünschen übrig. Wenn wir jedoch in den Lebensalltag schauen, so kann nicht geleugnet werden, dass wir durch unsere Lebensweise die Inhalte der Gebote ständig dementieren. Einkaufen am Sonntag, Generationskonflikte, Ehescheidungen und Neidkultur zeigen an, wie schwer es uns fällt, zwischen Wort und Tat eine Einhalt zu schaffen. Die Gebote verstehen sich nicht als Hinweisschilder für eine möglich gelingende Gottesbeziehung, die wiederum eine Beziehung unter den Menschen schaffen will, sondern sie sind der Weg, den es gilt zu beschreiten. Oder wie heißt es so schön: Worte sind geduldig.
Es geht letztlich um Beziehung und Beziehungsfähigkeit, wenn wir die Gebote wirklich ernst nehmen. Und darin bewähren sie sich. Sie atmen die Freiheit, sich einlassen zu wollen und zu können mit Gott und dem Nächsten, der mir im Leben begegnet. Sie sind keine technischen Vorschriften, wie man miteinander umzugehen hat, sondern in ihnen selbst kommt Leben zur Sprache. Das macht zugleich die Würde dieser Worte Gottes an uns Menschen aus.
Und so verstanden, tritt mit jedem einzelnen Gebot die Frage an uns heran: Wie hältst Du es mit dem Leben? Und Leben vollzieht sich nun einmal in Beziehungen. Und zu den Grundwerten des Lebens gehört wiederum die Freiheit, in Beziehungen leben zu wollen. Diese Wahrheit scheint unserem Gemeinwesen fremd geworden zu sein. Die Probleme, die wir gerade in den sozialen Sicherungssystemen haben, verdeutlichen dies. Treiben uns die leeren Kassen in eine Gesellschaft, in welcher sich die Unbarmherzigkeit kultiviert? Jeder gegen jeden? Wie soll da Leben gelingen können?
Der Wochenspruch öffnet den Horizont für eine tragende Perspektive: »Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.« Es versteht sich von selbst, dass die Schwestern ebenso angesprochen sind. Die Liebe kennt ein persönliches Gegenüber. In dieser Liebe findet jede Beziehung ihren letzten, tragenden Grund. Es geht um die Nächstenliebe, die zur Wesensbestimmung des Christentums gehört. Und zwar in beide Richtung. So wie Gott uns in Jesus anspricht mit seiner Liebe, so gilt es den Nächsten anzusprechen. Das, was ich selbst durch Gottes Liebe erfahren habe, gilt es weiter zu geben. Von sich selbst ist Mensch ein Wesen, das der Hilfe anderer bedarf, um das zu werden, was er ist. So erfüllen sich alle Gebote im Gebot der Nächstenliebe.
Wir sollten in der aktuellen Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des sozialen Rechtsstaates nicht vergessen, daß in der christlichen Nächstenliebe das Soziale sein Vorbild hat.

Artikel vom 24.09.2005