22.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Eine Reise in die Vergangenheit

Gisela Sieverling (58) aus Südwestafrika lernt ihre Geburtsstadt kennen

Von Carsten Reinhardt
Warburg (WB). Erinnerungen an Warburg hat Gisela Sieverling wenig. »Ich war ja gerade einmal fünf Jahre alt, als meine Familie von Warburg nach Afrika zog«, erzählt sie und richtet ihren Blick auf das Panorama der Hansestadt. Heute ist Gisela Sieverling 58 und hat sich einen Herzenswunsch erfüllen können - »einmal meine Geburtsstadt sehen, die Stadt an der Diemel, von der meine Mutter heute noch schwärmt«.

Einiges weiß Gisela Sieverling, geborene Wegmann, aber doch noch. Dass sie im Kindergarten war (»da gab es Nonnen«) oder dass sie einmal ihren älteren Bruder Eike verpetzt hat, als dieser einer Puppe den Finger abgebissen hatte. »Als er dann bestraft wurde, tat er mir so leid, da habe ich weinen müssen«, erinnert sie sich.
Familie Wegmann lebte damals in der Altstadt, im Haus Josef-Kohlschein-Straße 31. Ihr Vater Josef, 1910 in Warburg geboren, arbeitete in der Zuckerfabrik, ihre Mutter Waltrud zog als Hausfrau fünf Kinder auf. Doch wie gelangt man von Warburg nach Okohandja in Namibia?
Ganz einfach: Die Vorfahren von Waltrud Wegmann waren 1908 nach Deutsch-Südwestafrika ausgewandert, in jenes Land, das inzwischen Namibia heißt. Dort ist die Mutter der jetzigen Warburg-Besucherin geboren. In den vierziger Jahren war sie als junge Frau nach Deutschland gekommen, um eine Ausbildung zu absolvieren. Dass sie als mehrfache Mutter 1951 gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern nach Afrika zurückkehrte, hatte auch mit einer Kriegsverletzung von Josef Wegmann zu tun, wie Gisela Sieverling erklärt: »Mein Vater hatte Probleme mit der Lunge, da hat er bei der trockeneren Luft in Namibia eine bessere Zukunft für uns alle gesehen.«
Diese lag in Okahandja, 60 Kilometer westlich der Hauptstadt Windhoek. Hier lernte Gisela Sieverling später ihren Ehemann Hagen kennen, mit dem sie viele Jahre eine Farm (5000 Hektar, 250 Rinder) betrieb, hier kamen ihre beiden Töchter zur Welt.
Eine von ihnen, Loreni, lebt mit ihrer eigenen Familie heute in Heidelberg. Sie hat den Deutschland-Trip der 58-Jährigen organisiert und eben auch den dreitägigen Abstecher nach Warburg. 54 Jahre nach ihrem Wegzug gerät Gisela Sieverling wieder und wieder ins Schwärmen: »Es ist wunderschön hier, so sauber und sicher, und die vielen alten und aufwändig restaurierten Häuser, das ist einfach eindrucksvoll.« Von ihrer mittlerweile 85 Jahre alten Mutter hatte sie vorher viel gehört über diese Stadt. »Sie hat früher immer gern in der Diemel gebadet und spricht heute noch davon, wie schön damals das Geläut der Kirchen war«, erzählt Gisela Sieverling. Auch gibt es natürlich Andenken, alte Fotos vor allem, »doch all das jetzt mit eigenen Augen sehen zu können, ist phantastisch«. Drei Tage lang hat sie Warburg durchstreift, eine ausführliche Stadtführung mitgemacht, die Geschäfte und Gastronomie in der Innenstadt kennen gelernt, und auch die Mutter daheim in Okahandja wird etwas davon haben - Schwiegersohn Jürgen und Tochter Loreni haben für sie einen Videofilm über den Besuch in Warburg gedreht und darin alle Sehenswürdigkeiten festgehalten, das hatte sich die 85-Jährige so sehr gewünscht.
Auch Gisela Sieverling hat einen Wunsch, denn vielleicht gibt es ja doch noch Verwandtschaft, die sich im Warburger Land aufspüren lässt. »Vor 50 Jahren hatte ich beispielsweise einen Onkel, Hermann Wegmann, der ein Fuhrunternehmen in Daseburg besaß«, hat die Besucherin aus dem Südwesten Afrikas nicht vergessen. Sollte ihr durch diesen Zeitungsartikel jemand weiterhelfen können, dann wäre das sicherlich das Sahnehäubchen dieser Reise in die Kindheit.

Artikel vom 22.09.2005