23.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Zurück zu denen, die die Geschichte schrieben

Wibke Bruhns Lesung stieß auf ein großes Interesse

Von Tanja Schröpfer
Lübbecke (WB). In ein ganz anderes Deutschland, das »heute nicht mehr sehr viel mit diesem Land zu tun hat«, wurde das Publikum am vergangenen Dienstag in der Bücherstube von der bekannten Journalistin Wibke Bruhns geführt.

1945 sei es zumindest »physisch« untergegangen, deshalb auch der Titel ihrer Familienchronik: »Meines Vaters Land«.
Ihr Vater war von Anfang an überzeugtes Mitglied der Hitler-Partei und trat auch der SS bei. Doch es muss ein Umdenken eingesetzt haben, denn er wurde 1944 als Mitwisser des Hitler-Attentates von den Nazis hingerichtet. Da war Bruhns gerade sechs. Dieses ihr deshalb »fremde Leben«, das sie nur über Bilder kannte, warf viele Fragen auf, die innerhalb der Familie nicht beantwortet wurden, denn es herrschte Schweigen zwischen den Generationen. So hat sie selber in einer dreijährigen, intensiven Recherche in Tagebüchern, Dokumenten und Archiven die Einzelfacetten nicht nur des Vaters sondern auch der Familie zusammengesetzt.
Damit beginnt sie bereits im 18./ 19. Jahrhundert, denn sie will auch verstehen, was diesen Mann geprägt hat. Bei der Lesung versuchte sie deshalb, den Zuhörern das gesellschaftliche Leben der Kaiserzeit und das Familienleben im »Dritten Reich« vor Augen zu führen.
Hier sparte sie auch die Schattenseiten nicht aus und verarbeitete ebenfalls die Seitensprünge des Vaters. Sie wollte die Personen nicht »frisieren, denn Helden sind keine richtigen Menschen«.
Zum Ende hin brechen leider die Quellen weg, so vernichtete ihre Mutter auf Anweisung des Vaters 1943 alles Schriftliche, was er zu der Zeit in Dänemark verfasst hatte. Hier füllt Bruhns die Lücken mit eigenen Assoziationen und Vorstellungen: »Ich sehe Hans Georg in unendlicher Einsamkeit, weit weg von seiner Frau, deren Vertrauen er verspielt hat.«
In der Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit in Form des Familienromans gesellt sie sich in eine Reihe anderer Autoren, wie z.B. Uwe Timm »Am Beispiel meines Bruders«. Historiker bezweifeln, dass diese Form die wissenschaftliche Diskussion bereichert. »Ich bin kein Historiker«, betonte sie, Professionalität in der Genauigkeit ja, das sei auch in ihrem Interesse. Auch das Publikum, ein Großteil um den Jahrgang Wibke Bruhns (1938) herum, zeigte sich gerade an der Situation der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die bei Bruhns regelmäßig reflektiert wird, interessiert. Während der Lesung verstand sie es, das zahlreich erschienene Publikum zu Reaktionen zu bewegen und die Atmosphäre trotz ernsten Themas abwechslungsreich zu gestalten.

Artikel vom 23.09.2005