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»Alles rollende Zeitbomben«

Höxter: Beamte des Verkehrsdienstes »fischen« maroden Lkw von der B 64

Von Harald Iding
Kreis Höxter (WB). Die Bremsscheiben waren bereits blau angelaufen und wiesen tiefe Risse auf. Im grellen Licht der kleinen Taschenlampe von Polizeihauptkommissar Georg Bilstein entpuppte sich die Bremsanlage des 40-Tonners schnell als marodes Flickwerk. »Nichts geht mehr« hieß es daher auf der B 64 bei Höxter.

Die Polizeibeamten »eskortierten« am Dienstagabend den 39-jährigen Fahrzeugführer und seinen Beifahrer mitsamt Lastkraftwagen direkt zu einer nahe gelegenen Dekra-Prüfstation. Dort wartete der Sachverständige Johannes Klocke bereits auf die Mitarbeiter des Verkehrsdienstes, die ihn von unterwegs benachrichtigt hatten. Bei der weiteren Überprüfung des Lkw mit polnischem Kennzeichen stellte sich heraus, dass an der Hinterachse der Zugmaschine auch eine der beiden Federungen völlig wirkungslos war. »Normalerweise ist das System geschlossen. Luft wird über eine Pumpe in die Anlage gepresst. Diesen Anschluss hat man jedoch an der kaputten Federung manipuliert und einfach mit einer Schraube verschlossen. So arbeitet nur noch eine Federung, die damit natürlich mehr als überlastet ist«.
Für Johannes Klocke und die Polizisten ist das kein Einzelfall. »Es rollen leider viele solcher Zeitbomben über die Straßen im Kreis Höxter«, weiß der Ingenieur. Wenn der 40-Tonner, der sofort stillgelegt wurde (bis zur ordnungsgemäßen Reparatur), noch voll beladen gewesen wäre und sich zum Beispiel in der Stadt eine heikle Bremssituation ergeben hätte, ja dann... Klocke mag sich die Situation nicht ausmalen, bei der die Bremsanlage eines so schweren Fahrzeuges von einer zu anderen Sekunde ausfällt und von hinten im Stauraum die Massen nach vorne drücken. »Es wäre eine Katastrophe!«
Damit solche eklatanten Verstöße überhaupt erst aufgedeckt und andere Verkehrsteilnehmer vor schlimmsten Unfällen bewahrt werden können, sind die Beamten des Verkehrsdienstes der Kreispolizeibehörde Höxter jeden Tag unterwegs, um die »schwarzen Schafe« von der Straße zu holen.
Erst in der vergangenen Woche kam bei gezielten Lkw-Kontrollen auf der L 954 bei Sandebeck heraus, das viele zwar ihr Leben, aber anscheinend nicht ihren Job riskieren wollen.
Bei 50 überprüften Fahrzeugen stellte das Einsatzteam 29 Verstöße fest -Êfür 27 mussten Anzeigen erstellt werden. »Besonders schlimm war es bei vier Lastkraftwagen, so dass den Fahrern die Weiterfahrt an Ort und Stelle untersagt werden musste«, sagte Polizeisprecher Markus Tewes gestern dem WESTFALEN-BLATT.
In einem Fall war ebenfalls die Bremsanlage defekt. Neben Verstößen zu den Lenk- und Ruhezeiten sind es vor allem Mängel bei der Ladungssicherung, an den Reifen und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Polizei im Kreis will dieses Thema und die wichtige Arbeit des Verkehrsdienstes nun in einer Sonderausstellung anlässlich der Warburger Oktoberwoche aufgreifen. Bilstein: »Ob aus Polen, Italien, Holland oder Spanien -Êdie Fahrer werden von ihren Chefs einfach mit defekten Fahrzeugen losgeschickt. Wer da nicht mitmacht und fährt, der fliegt. So hart ist das Geschäft geworden!« Die Strafen (beim Fall des polnischen Fahrers ist es ein Bußgeld von 95 Euro) zahlen die Unternehmer dann gerne aus der »Portokasse«.

Artikel vom 16.09.2005