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Amerikaner an der Kaffeetafel

Denkmaltag: Enttäuschende Resonanz - Zeitzeugen berichten übers Kriegsende

Schloß Holte-Stukenbrock (kl). Die Besucher-Resonanz am gestrigen Tag des offenen Denkmals kann in Schloß Holte-Stukenbrock nur als enttäuschend bezeichnet werden. Nur eine Handvoll Besucher fand sich im Laufe des Sonntags jeweils an den drei Stationen ein, an denen die Stadtführer etwas zum Thema »Krieg und Frieden« erzählen wollten.

Werner Busch begrüßte während seiner ersten Führung im Stalag 326 genau fünf Personen, die zweite Führung fiel aus. Zum Gespräch mit Giesela und Wolfgang Hörster über die Rolle der Ursula-Schule während des Zweiten Weltkrieges kamen vier Zeitzeugen und eine weitere Besucherin. Völlig allein gelassen fühlten sich Christian Nagel und Gisela Siegenbrink beim ersten Termin. Ihre Ausführungen über die Gedenktafeln für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges interessierten erst beim zweiten Termin vier Besucher.
Gisela Siegenbrink hatte sich aus privaten Quellen extra Material über den Gefallenen Johannes Schniedermann besorgt, einer von 96 Namen, die auf ebenso vielen Holzkreuzen in der Seitenkapelle der St.-Johannes-Kirche verewigt sind: Lebenslauf, Briefe, Wehrpass, bis zur Benachrichtigung der Angehörigen durch die Wehrmacht, er sei im Kampf gestorben.
Natürlich ist die ganze Vorbereitung trotzdem nicht umsonst. Die Stadtführer können zu einem anderen Zeitpunkt das Thema aufgreifen und erneut Führungen anbieten. Dann werden auch die Aussagen von Zeitzeugen eingearbeitet sein, die beim Gespräch in der Ursulaschule dabei waren, versprach gestern Giesela Hörster. Zum Beispiel die Erzählung von Elli Balsliemke, die sich daran erinnert, dass die in der Ursulaschule stationierte SS gerade in ihrem Elternhaus eine Verlobung feierte, als sich die Nachricht vom Anmarsch der amerikanischen Truppen verbreitete. Fluchtartig verließen die Offiziere die Kaffeetafel - an der sich die einmarschierenden Amerikaner kurze Zeit später niederließen, um die zurückgelassenen Torten zu verzehren.
»Wenn wir die SS nicht hier gehabt hätten, wären auch keine Brandbomben auf Schloß Holte abgeworfen worden«, meint Heinz Engels, ein weiterer Zeitzeuge. Er erinnert sich, das gut die Hälfte der SS-Offiziere aus Österreich war. »Zu uns Kindern waren die nett.« Es gab Schokolade und Schauergeschichten über Kämpfe mit den Schwarzen. »Angeblich hatten die Neger alle ein Messer im Mund. Wir haben diese Märchen damals geglaubt.« Als dann die amerikanischen Truppen das Dorf besetzten, hatten alle am Anfang Angst von den schwarzen Soldaten - bis sich herausstellte, dass auch die Leckereien verteilten. »Sie warfen uns Kindern die Apfelsinen an den Kopf, das ließen wir uns natürlich gerne gefallen.«
450 SS-Leute waren seit 1944 in der Ursula-Schule stationiert, der Unterricht fand in der evangelischen Schule statt, einem großen Gebäude an der Schloßstraße (gegenüber von Café Wölke, heute eine Computerfirma). »Einmal die Woche war dort Unterricht«, erinnert sich Elisabeth Bökamp. Schon vorher hatte die SS die Bekenntnisschulen aufgehoben und Gemeinschaftsschulen eingerichtet.
Nach dem Krieg ging in der Ursulaschule der Schulbetrieb wieder los. Gern erinnern die Zeitzeugen sich an die Schulspeisung. »Am besten hat die Schokoladensuppe geschmeckt«, weiß Heinz Engels noch. Und in einem Anbau der Schule konnte man für 50 Pfennig eine halbe Stunde lang warm baden. Ein Angebot, das viel genutzt wurde, denn wer hatte damals schon fließendes Wasser zu Hause.

Artikel vom 12.09.2005