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Roger Federer
zieht mit
Idolen gleich

Auch Andre Agassi macht weiter

New York (dpa). Roger Federer explodierte wie ein Vulkan, ballte die Siegerfaust, und endlich jubelten auch ihm die Fans im riesigen Tennisstadion von Flushing Meadows zu.

Mit einem gewaltigen Freudensprung schüttelte der erfolgreiche Titelverteidiger aus der Schweiz den Druck ab, der ihn im weit spannender als erwartet verlaufenen Endspiel der US Open lange zu lähmen schien. Doch nach dem 6:3, 2:6, 7:6 (7:1), 6:1-Sieg, der ihm den sechsten Grand-Slam-Triumph und 1,1 Millionen Dollar einbrachte, wartete der unterlegene Andre Agassi am Netz und brachte den Champion noch einmal in Verlegenheit.
»Roger ist der Beste, gegen den ich je gespielt habe. Er macht Sachen, die andere nicht können«, sagte Agassi, der in 20 Jahren seiner Karriere acht Grand Slams - darunter zwei Mal die US Open - gewonnen und dabei Größen wie Pete Sampras, John McEnroe, Jimmy Connors und Boris Becker erlebt hat. »In meiner Generation bin ich der Beste. Aber im Vergleich zu den Rekorden der anderen bin ich noch ein kleines Licht«, räumte der 24-jährige Federer ein.
Becker und Stefan Edberg hat der Weltranglistenerste aber schon eingeholt. »Es ist fantastisch, mit seinen Idolen gleichzuziehen und genau so viele Grand-Slam-Titel zu haben.« Sampras hat er mit 34 Hartplatzsiegen in Serie sogar schon eine Bestmarke abgejagt.
Einen ernsthaften Widerpart für Federer sieht der Grand-Slam- Rekordsieger schon nicht mehr. »Das einzige, das mit Roger noch konkurrieren kann, sind die Geschichtsbücher«, urteilte Sampras, der 2002 in New York gegen Agassi seinen 14. großen Titel geholt hatte und im Jahr danach zurückgetreten war.
Manch einer unter den 25 000 Zuschauern im Arthur-Ashe-Stadion hatte das auch von Andre Agassi erwartet. Doch der offenbar in einen Jungbrunnen gefallene 35-Jährige, der im Champions Race auf Platz fünf vorstieß, denkt gar nicht daran aufzuhören: »Ich kann nicht sagen, was in einem Jahr ist. Aber ich will weiter meine Arbeit machen, und das ist Tennisspielen.«
Das Match gegen den elf Jahre jüngeren Federer, das bis zum Tiebreak des dritten Satzes auf des Messers Schneide stand, bewies, dass Agassi »so fit ist wie nie«, wie sein Freund und Konditionstrainer Gil Reyes betonte. Mit aggressiven Schlägen hatte der Altmeister den Eidgenossen von einer Seite des Platzes zur anderen gejagt. Federer agierte viel zu defensiv und stand im dritten Satz am Rande einer Niederlage: »Es gab Momente, da habe ich gedacht: Jetzt ist es vorbei. Und dann habe ich es irgendwie doch geschafft.«
Erst demontierte er Agassi im Tiebreak, dann bereitete er dem Titeltraum des Familienvaters vor den Augen von Steffi Graf und den beiden Kindern ein bitteres Ende. »Ich weiß auch nicht, warum ich immer im entscheidenden Augenblick mein bestes Tennis spiele. Es ist, als würde es klick machen«, meinte der im 23. Finale in Serie ungeschlagene Federer, der sein zehntes Turnier des Jahres und das 32. insgesamt gewann. Auf Hartcourt hat der Eidgenosse von 42 Matches nur das eine im Halbfinale der Australian Open gegen Marat Safin verloren und ist mit einer Saisonbilanz von 71:3 so dominant ist wie zuletzt John McEnroe im Jahr 1984 (82:3).
»Was immer man macht, Roger hat eine Antwort parat«, sagte der auch im achten Vergleich nacheinander unterlegene Agassi und scherzte: »Er ist der einzige, bei dem ich meinen Aufschlag durchbringe und sage: Gott sei Dank, alles in Ordnung.« Die Fans in der imposanten Arena am Rande New Yorks wollten den Lokalmatador, der sie in drei Fünf-Satz-Krimis und der schon zum Klassiker gewordenen Nachtschicht gegen James Blake verzückt und zum sechsten Mal das Endspiel der US Open erreicht hatte, am liebsten zum Triumph tragen. Am Ende aber feierten sie auch Federer.

Artikel vom 13.09.2005