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Erst in Verl kam das Heimatgefühl

Munna Shah (57) lebt seit 33 Jahren in der Ölbachgemeinde - Neue Serie

Von Manfred Köhler
Verl (WB). Er ist viel in der Welt herumgekommen, aber nirgends so recht zu Hause gewesen. Das hat sich geändert, seit Munna Shah in Verl lebt. Bemerkt hat er sein ungewohntes Heimatgefühl aber erst, als er vor 27 Jahren seine Eltern in Indien besucht hat. Da lebte er schon sechs Jahre in der Ölbachgemeinde.

»Ich hatte auf einmal Heimweh. Das habe ich bis dahin nie gekannt«, erinnert sich der 57-jährige Geschäftsmann. Wie sollte er auch? Als Sohn indischer Eltern in einem kleinen Dorf in Kenia geboren und in Nairobi aufgewachsen, flüchtete Munna Shah im Alter von 18 Jahren buchstäblich nach England. »Ich konnte die soziale Ungerechtigkeit in Kenia nicht mehr ertragen«, erzählt er. »Und in der Familie«, gesteht er ein. Munna Shah gehört nämlich zur höchsten Kaste in Indien, den »Jain«. Sein bester Freund aber, dem er seit 50 Jahren verbunden ist, gehört zu den Parsia, den »Unberührbaren« - der niedrigsten Kaste. »Das tut weh und ich habe es nie verstanden, dass solche Unterschiede gemacht werden«, erzählt er und ist tief bewegt bei den Gedanken an die leidvollen Erfahrungen, von denen seine Freundschaft überschattet war.
In England arbeitete Munna Shah in einer Fabrik für seinen Unterhalt und fand auch dort nicht die Lebensweise, die ihm zusagte. »Und dann machte ich eine Dummheit«, gesteht er. Über einen Freund bekam er Kontakt zur Army, machte gemeinsam mit dem Freund ohne große Absichten eine Prüfung bei der Luftwaffe. Der Freund, der unbedingt zur Army wollte, fiel durch, Munna Shah bestand und konnte den schönen Versprechen der Werber nicht widerstehen. »Es war ein Fehler, aber er hat mich weiter gebracht«, sieht er heute diesen Lebensabschnitt ganz philosophisch. Er entdeckte nämlich in seiner fünfjährigen Dienstzeit seine eigene Einstellung: »Wir brauchen für den Frieden keine Gewehre.« Und sein großes Vorbild: »Mahadma Ghandi.« Der Konflikt war vorprogrammiert, Munna Shah rührte fortan keine Waffe mehr an, setzte sich aber mit seinen Argumenten beim Militär durch: Er diente nur noch in der Verwaltung. »Ich wäre für meine Einstellung beim Militär auch ins Gefängnis gegangen«, betont er.
Die Militärzeit half ihm nicht nur, seinen inneren Weg zu finden, sondern auch zu einer Berufsausbildung (Betriebswirt) und kam seinem Drang entgegen, die Welt kennenzulernen. »Ich habe in dieser Zeit ganz Europa bereist«, erinnert er sich. Und die Army half indirekt, die Weichen für sein künftiges Leben zu stellen: Die zweite Hälfte seiner Dienstzeit war Munna Shah nämlich in Marienfeld stationiert und hatte Gefallen an Deutschland gefunden. Dass er aber schließlich für immer geblieben ist, dafür hat die Liebe gesorgt: 1972 lernte er seine Barbara kennen. Die beiden wurden ein Paar und die Wohnungssuche führte sie nach Verl. Inzwischen sind sie seit 33 Jahren hier, fühlen sich wohl, haben viele Freunde gefunden und mit ihrem Reformhaus einen Stamm treuer Kunden, von denen sich viele ebenfalls als Freunde fühlen.
Zwei Kinder haben Munna und Barbara Shah groß gezogen: Inra Rebecca, die in Bielefeld studiert, und Mukesch Johannes, der seine berufliche Erfüllung als Neurochirurg gefunden hat. Auch Munna Shah liebt seinen Beruf: »Er macht mir sehr viel Freude und ich stehe absolut dahinter, sonst könnte ich ihn nicht machen.« Dennoch ist er offen für neue Herausforderungen. »Irgendwann, wenn ich in Rente gehe, möchte ich etwas machen, bei dem ich mit Menschen zusammenarbeiten und für Menschen etwas tun kann«, träumt er. Bis dahin steht er mit beiden Beinen in seinem Leben als Geschäftsmann. »Ich lebe hier und jetzt, das ist heute meine Bestimmung und ich habe Verantwortung für andere Menschen.«

Artikel vom 10.09.2005