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1935: Ausgrenzung der
Juden in Bredenborn

Erinnerung von Ewald Grothe

Bredenborn (WB). »Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will (Ernst Nolte), gibt es nicht - wohl aber eine Geschichte, die nicht vergessen werden darf. Dies wurde uns Deutschen angesichts des 60jährigen Gedenkens an das Kriegsende in diesem Jahr erneut deutlich bewusst,« erinnert Ewald Grothe an die schlimme Zeit des Nazi-Regimes.

»Nicht vergessen und vielmehr sich erinnern - dies gilt wohl zu allererst für jenen organisierten Massenmord an Millionen deutscher und europäischer Juden«, sagt Grothe. »Dabei begann die systematische Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung nicht erst mit den Deportationen und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Die Entrechtlichung setzte auch nicht erst nach der so genannten Reichskristallnacht vom November 1938 ein und sie beschränkte sich keineswegs etwa auf die deutschen Mittel- und Großstädte. Die Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben war vielmehr allgegenwärtig und erfasste auch das platte Land.«
Vor 15 Jahren hat der Arbeitskreis Stadtgeschichte Marienmünster, in dem Franz Meyer, Britta Padberg, Thomas Strathmann und Ewald Grothe mitarbeiteten, der Geschichte der Juden in den Ortschaften der Stadt Marienmünster nachgespürt. Die Recherchen waren aufwendig und die Ergebnisse der Aktenauswertung erschütternd: von den insgesamt 33 zwischen 1933 und 1945 in Vörden und Bredenborn wohnhaften Juden wurden vier nachweislich ermordet, neun blieben in den Konzentrationslagern verschollen, vier waren zumindest vorübergehend dort interniert, acht gelang die Auswanderung, acht weitere blieben (zum Teil wegen Tod oder als sogenannte Halbjuden) von der Deportation verschont.
Nun ist, fast auf den Tag genau nach siebzig Jahren, ein weiteres Dokument im Stadtarchiv Marienmünster aufgefunden worden. Es belegt, dass die Ausgrenzung der jüdischen Einwohner auch in der Provinz, genauer gesagt in Bredenborn, bereits vor 1938 begann. Es handelt sich um einen »Auszug aus dem Protokollbuche der Gemeinde-Vertretung von Bredenborn«, datiert auf den 10. September 1935, gerade einmal fünf Tage vor der Verabschiedung der berüchtigten »Nürnberger Gesetze«, welche die reichsweite Ausgrenzung der Juden gesetzlich vorschrieben. »Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters beschlossen sieben Bredenborner Gemeinderäte seinerzeit:
1. Kein Jude oder Jüdin darf in Bredenborn Gebäude oder Grundstücke erwerben. 2. Kein Bauer, kein Handwerker, kein Volksgenosse erhält in Zukunft eine Gemeindelieferung oder Gemeindearbeit, der noch mit Juden Verkehr pflegt bzw. diese in ihrem Handel unterstützt. 3. Beamte, die mit Juden verkehren, sind sofort auszuschalten bezw. soll die Abberufung sofort verlangt werden, ebenso Gemeindeverordnete. 4. Das Kaufen bei Juden bedeutet Verrat am Volke und der Nation. 5. Geschäftsleute, die Ware bei Juden kaufen und dieselbe wieder verkaufen wollen an arische Volksgenossen, sind genau so zu behandeln wie die Juden. 6. Da die Rassenfrage der Schlüssel zu unserer Freiheit ist, soll derjenige verachtet sein, der diese Grundsätze durchbricht.
»Es bleibt anhand der Akten im Stadtarchiv unklar, auf wessen Veranlassung diese Regelungen beschlossen wurden, wer sie entwarf und wie es um ihre Durchführung und Befolgung bestellt war. Erschreckend ist aber in jedem Fall, dass sie in dieser Form heute vor siebzig Jahren verabschiedet wurden«, so Ewald Grothe abschließend.

Artikel vom 14.09.2005