09.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Vlothos größtes Bürgerhaus
ist zur Bruchbude geworden

Trotz des Denkmalschutzes: Die Schöningsche Villa am Bahnhof verfällt

Von Hartmut Horstmann
Vlotho (VZ). Der Tag des offenen Denkmals steht vor der Tür - während viele historische Häuser für den Sonntag »herausgeputzt« werden, gibt es leider auch traurige Beispiele von Verfall und Verwahrlosung. Kaum noch zu retten scheint die unter Denkmalschutz stehende Schöningsche Villa.

Im Jahre 1898 wurde das eindrucksvolle Gebäude gegenüber dem Vlothoer Bahnhof gebaut. Seit vielen Jahren steht es leer. Spuren und Graffitis verraten, dass es von Unbefugten immer mal wieder für Treffen oder Übernachtungen genutzt wird. Auch die Feuerwehr weiß hiervon ein Lied zu singen.
Mit der Industriellen-Villa hat sich die Vlothoerin Nicola Kaplan in einer Diplomarbeit beschäftigt, die im Jahr 1998 erschien. Dabei entwarf die Architektin auch ein mögliches neues Nutzungskonzept, beurteilt die Chance des Gebäude-Erhalts heute jedoch skeptischer als noch vor Jahren: »Der Zustand hat sich deutlich verschlechtert.« Grundsätzlich könne man das Gebäude natürlich immer noch retten, doch sei der finanzielle Aufwand extrem. Kaplan: »Mittlerweile bin ich in diesem Punkt sehr pessimistisch.«
Der derzeitige Eigentümer Alois Heim, der in Berlin lebt, hatte nach eigenem Bekunden irgendwann vorgehabt, sich in Vlotho niederzulassen. In den 80ern erwarb er Villa und Bahnhof - hinsichtlich des Bahnhofs bemüht sich die Stadt seit geraumer Zeit um eine Zwangs-Enteignung.
Alois Heim macht kein Hehl daraus, dass er seine Vlotho-Ambitionen begraben hat, sagt: »Es soll alles verkauft werden.« Interessenten habe es auch schon gegeben - allerdings bisher ergebnislos.
Graffitis, herunterhängende Decken, von denen der zweifelhafte Charme des möglichen Einsturzes ausgeht, kaputte Treppen: Wer das Gebäude betritt, braucht Phantasie, um sich die einstmalige Pracht vor Augen zu führen. Geradezu phantastisch muss einst der Blick aus dem Wintergarten in Richtung Weser gewesen sein - heute unmöglich, denn die Bäume versperren jegliche Aussicht.
In ihrer Diplomarbeit beschäftigt sich Nicola Kaplan intensiv mit der Geschichte der Villa, die von dem Herforder Architekten Wilhelm Köster entworfen worden war. Der Vlothoer Zigarrenfabrikant Wilhelm Schöning ließ das Haus 1898 auf einem steilen Hanggrundstück am Vlothoer Amtshausberg errichten.
Der herausgehobene Ort, der mittlerweile wegen der Bäume von unten kaum noch zu erkennen ist, ist laut Kaplan typisch für die Villengebäude des 19. Jahrhunderts: »Die so entstehende Fernwirkung bei gleichzeitiger guter Aussicht der Villenbewohner auf eine landschaftlich reizvolle Umgebung bewirkt eine enorme Prägung des Vlothoer Stadtbildes.«
Das Haus steht für das gestiegene Selbstbewusstsein des Bürgertums in der Gründerzeit, als Fabrikanten immer mehr gesellschaftlichen Einfluss erlangten. Dem Bedürfnis nach Exponiertheit entspricht die Tatsache, dass die von der Straße aus zu sehende Ostfassade besonders ausgestaltet worden war: »Sie dient der Repräsentation.«
Der Baustil des gesamten Gebäudes wirkt eklektizistisch, greift die verschiendensten Elemente auf. Auch das ist laut Kaplan typisch. »Die ehemalige Villa Schöning steht für den Typus der so genannten Unternehmervilla und ist in ihrer Größe und Art einziges Beispiel Vlothos.«
Salon, Eckturmbalkon, eine große vorgelagerte Freitreppe, ein riesiges Speisezimmer, das so genannte »Zimmer des Herrn«: Dies sind nur einige Beispiele, die deutlich machen, dass es sich um eine Pracht-Villa und nicht um ein 08/15-Haus handelte. Im Laufe der Jahrzehnte ist es mehrfach zu Veränderungen gekommen, so im Jahr 1925, als Julius Schöning nach dem Tod seines Vaters Eigentümer geworden war. Ein eingeschossiger Anbau kam hinzu - gleichzeitig wurde der Eingangsbereich verlagert.
Julius Schöning starb im Jahr 1952. Bereits Anfang der 50er Jahre war das Gebäude an die Arbeiterwohlfahrt verkauft worden, die daraus ein Altenheim für 48 Personen machte. Unter dem Namen Schönblick wurde es bis 1976 weitergeführt, dann verkaufte es die AWO an das Ehepaar Kuller. In der Folgezeit wurde das Gebäude als privates Alten- und Pflegeheim genutzt.
Anfang der 80er Jahre gab das Ehepaar auf, nach mehrfachen Wechseln ging die Villa in den Besitz von Alois Heim über. Dem Berliner, der nach eigenen Angaben »vom Menschenschlag der Vlothoer stark enttäuscht« wurde, gehört das Haus noch heute.

Artikel vom 09.09.2005