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Gummistiefel als fliegende Sportgeräte

Gelangweilte Seeleute erfanden vermutlich um 1900 die spaßige Sportart aus Finnland

Von Dirk T. Fellinghauer
Frankfurt/Main (dpa/lhe). Am Bolzplatz des Taunussteiner Stadtteils Hambach schleudern junge Frauen und Männer pausenlos mit voller Wucht Gummistiefel durch die Luft. Schauen ahnungslose Spaziergänger genauer hin, stellen sie fest, dass sie Zeugen einer kuriosen Sportart sind. Auf dem Platz trainiert die Taunussteiner Wurfgemeinschaft TWG Schlabbeschubser e.V., der erste und einzige hessische Verein für Gummistiefelweitwurf.

»Wenn ich jemandem von meinem Hobby erzähle, denken die immer erstmal, ich wolle sie veralbern«, berichtet Nadine Sohlbach aus Wiesbaden von den typischen Reaktionen auf ihr außergewöhnliches Hobby, das sie seit gut einem Jahr betreibt. In Finnland würden sie und ihre rund dreißig Gleichgesinnten der TWG Schlabbeschubser weniger Erstaunen hervorrufen. Dort hat Gummistiefelweitwurf eine lange Tradition. Vermutlich wurde die Sportart um 1900 von in den Häfen gelangweilten Seeleuten entwickelt.
In Deutschland wurde das Fieber 2003 entfacht. Als der Berliner Radiosender Fritz spektakuläre Sportarten suchte, präsentierte der Finne Jorma Klünder »Saappaanheiitto«, so der Originalname der Sportart aus seiner Heimat. Innerhalb kurzer Zeit gründeten sich rund um Berlin eine Hand voll Vereine wie Gib Gummi 03 oder 7- Meilenstiefel. Klünders Cousin Lasse Niemann, der in Idstein lebt, brachte den Sport vergangenes Jahr nach Hessen: »Als mein Cousin mir erzählte, er hätte einen Verein mit der Sportart Gummistiefelweitwurf gegründet, glaubte ich ihm erst nicht.«
Aber nach einigen Gesprächen war auch der Halb-Finne fasziniert von der Idee.« Seine Begeisterung übertrug der Rettungssanitäter eines Abends nach einer Dienstbesprechung auf seine Kollegen vom Arbeiter-Samariter-Bund. »Wir haben uns von der Bedienung der Kneipe ein Papier geben lassen und spontan die Vereinssatzung draufgekritzelt«, erinnert sich Christian Böhm, der in der Zwischenzeit als einziger Deutscher das Finale bei der letzten Gummistiefelweitwurf-Weltmeisterschaft erreicht hat.
Schnelle Erfolgserlebnisse sind eine der vielen Besonderheiten dieser Sportart, die ohne Trainer auskommt: »Wir schauen uns gegenseitig Techniken ab und jeder gibt jedem Tipps«, erklärt Nadine Sohlbach, die genauso wie die anderen Vereinsmitglieder ihre Bestweiten innerhalb eines Jahres deutlich steigern konnte. Die besten Werfer des Vereins haben mit Weiten knapp über 20 Meter begonnen und inzwischen die 40-Meter-Marke geknackt. Der Weltrekord liegt über 65 Meter.
Drei Grundtechniken gibt es für das Anpacken der Gummistiefel, die bei Männern Größe 43 und bei Frauen Größe 40 haben müssen und für die nur drei bestimmte Marken zugelassen sind. Geworfen wird ähnlich wie beim Diskuswurf, allerdings über die Schulter. Bei Wettkämpfen geht es einzig und allein um die Weite. In der Art des Werfens sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. »Die Finnen haben die verrücktesten Techniken, das bricht alle Regeln der Physik«, hat Böhm beobachtet. Die Suche nach der perfekten Technik beschäftigt ihn: »Einmal bin ich nachts um 3 Uhr aufgewacht und hatte die Idee, ob man beim Wurf nicht einfach das Handgelenk abknicken sollte. Ich bin dann aufgestanden und habe das nachts auf dem Flur ausprobiert«.
Die Kombination von Sport und Spaß macht für die Schlabbeschubser den Reiz ihres Hobbys aus. »Fußballspielen kann jeder, aber Gummistiefelwerfen ist nicht so geläufig«, sagt Nadine Sohlbach. Der Spaß ist beim Training ebenso spürbar wie sportlicher Ehrgeiz. Den zeigen die Schlabbeschubser auch regelmäßig bei offiziellen Wettkämpfen und sind stolz auf diverse Meistertitel aus ihren Reihen.
Die hessischen Werfer müssen lange Reisen auf sich nehmen, um sich mit anderen zu messen. Dies sehen sie nicht nur als Strapaze. »Es geht ja nicht nur ums Werfen. Das ist eine tolle Gemeinschaft, die viel zusammen macht«, freut sich der 22 Jahre alte Tischler-Lehrling Joonas Niemann, »man lernt viele Leute kennen und trifft sie bei Wettkämpfen regelmäßig wieder. Das ist wie ein Familientreffen«. Wer mitmachen möchte, muss kein Crack sein. »Talent ist gar nicht gefragt. Man sollte einfach nur Spaß haben, einen verrückten Sport zu machen«, findet Sohlbach.
www.gummistiefelwerfen.de

Artikel vom 29.10.2005