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Genial am Ball mit dem Blick ins All

Ihrem prominenten Bürger zu Ehren geben die Bayern am Dienstag einen Staatsempfang

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
München (WB). Manchmal schwebt der »Kaiser« von oben herein, dann kommt er aus der Luft über sein Volk. Aus einem leuchtend gelben Hubschrauber klettert Franz Beckenbauer. Noch immer staunen die Leute, wenn sie ihn erblicken.

Wie an diesem heißen Spätnachmittag vor dem Frankenstadion in Nürnberg. Gleich werden die Deutschen im Confed-Cup-Halbfinale gegen die Brasilianer antreten. Aus der Ferne knattert es, ein Flugobjekt nähert sich. Nach der Landung geht die Luke auf. Vor dem Drahtzaun bleiben die Menschen neugierig stehen. Als sie den prominenten Reisenden unter den Rotoren hindurch huschen sehen, tuscheln sie: »Das ist doch der Beckenbauer.« Es ist der Beckenbauer. Zwar gerade aus den Wolken gefallen, ansonsten aber bodennah wie jeder andere.
Dabei ist Abheben neben Golfspielen seine Passion. Wäre dies nicht so, hätte Deutschland niemals die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bekommen. Wie oft besuchte der Außenminister unserer Fußball-Republik ferne Länder, um Stimmung zu machen und Stimmen zu fangen. Die endlose Goodwill-Tour des Franz Beckenbauer hat ihm aber trotz so manch beunruhigender Minute in irgendeiner abgehalfterten Kiste nichts anhaben können. Braun gebrannt wie vom Strand. Hier ein freundliches »Servus«, dort ein »herzlichst, Franz Beckenbauer« auf eine Autogrammkarte. Er weiß, was sich gehört. Nur wenn er sich unbeobachtet fühlt, kann das gewinnende Lächeln schon mal von ihm abfallen und durch ein ziemlich müdes Gesicht ersetzt werden.
Kein Wunder, weil der Franz Dampf in allen Gassen ein Pausenloser ist. Er hat fast alles durch - Spieler, Trainer, Funktionär, Repräsentant. Immer mit Erfolg. Man hat es hier mit einer Weltkarriere zu tun. Die zeichnete sich für den Sohn eines Postbeamten aus München-Giesing schon früh ab. Der junge Mann hatte sich gerade bei der WM 1966 in England einen Namen gemacht und die Welt erstmals teilhaben lassen an seiner unnachahmlichen Eleganz, die manche für Arroganz hielten. Er war der erste Fußballer, der sich einen Manager zulegte. Mit 21.
Beckenbauer schmierte sich Brisk ins Haar und löffelte Knorr aus der Suppenschale. Das waren die Anfänge eines Werbe-Reichen. Auf vier Millionen Euro jährlich summieren sich die Einnahmen, 40 Millionen Euro soll das Gesamtvermögen betragen. Ein soziales Gewissen ist Beckenbauer immer geblieben. Darum kümmert sich seine Stiftung mit Büros in München. Seine geschäftlichen Dinge persönlicher Art regelt eine Agentur in der Schweiz.
Weil er nicht nur gegen gutes Geld bestimmte Handys benutzt, gewisse Karossen fährt und sein Guthaben zu besonderen Banken trägt, sondern zugleich auch eine Medienfigur ist, wirkt Beckenbauer bisweilen überpräsentiert. Von »Bild« lässt er seine Kaiser-Kolumne schreiben, in ZDF und Premiere tritt er regelmäßig als Experte auf. Dabei kommt es immer darauf an, zu welcher Tagesform er aufläuft. Wenn die Lichtgestalt in Harnisch gerät, weil sie wieder fußballerischen Schatten entdeckt, kann es passieren, dass man sich kugelt. Keiner nöhlt so schön herum wie er.
Oft erzählt der Kaiser auch Kokolores. Dann haut er raus, was ihm gerade in den Kopf kommt. Nur richtig wütend wird er nicht mehr so oft, obwohl sich weiter die Behauptung hält, ohne Beckenbauers Brandrede nach einer Vollabfuhr in Lyon (0:3) wäre der FC Bayern später nicht Champions-League-Sieger geworden.
Ruhiger angehen lassen kann es der Rastlose auch am 60. Geburtstag an diesem Sonntag nicht, da weilt er erst beim FIFA-Kongress in Marrakesch. Dienstag lädt ihn der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zum Staatsempfang. Solche Termine gehören nicht unbedingt zu Beckenbauers bevorzugter Beschäftigung, weil ihm die eigene Bedeutung und schon gar nicht der Legendenstatus geheuer vorkommen. »Wenn's sein muss, machen wir's halt«, hat er pflichtschuldig eingelenkt, »das geht auch vorbei.«
Klar weiß er, dass dies eine Ehre ist, die Bayern haben nur diesen einen »Kaiser«. Warum er als solcher gehuldigt wird, ist nicht ganz geklärt. Eine Version: Anlässlich eines Bayern-Spiels in Wien warf er sich neben der Büste des österreichischen Kaisers Franz II. in Position. Danach hatte er den Ruf weg. Version zwei: Journalisten hatten Beckenbauer aufgrund aufreizender Spielart so genannt. Diese Ballbehandlung - auch heute noch genial. Erst neulich hielt er die ZDF-Torwand dreimal zum Narren. Notfalls kann man Beckenbauer die Kugel auch auf ein Weißbierglas legen. Er lupft sie auch von dort aus rein. Im Studio wurde nicht mal ein Aufnehmer benötigt, selbstverständlich vergoss der Meister keinen Tropfen.
Etwas Besonderes über die Fußball-Gabe hinaus entdeckte er selbst nie an sich. Die Beschäftigung mit der eigenen Existenz führt bei Beckenbauer nur zur bescheiden vergleichenden Feststellung: »Wir sind doch alle nur aus dem selben göttlichen Staub.« Vielleicht veräppelt er seine Zuhörer, wenn er ihnen erzählt, dass ihn die Tiefe des Alls mehr interessiert als die Tiefe des Raumes.
Physiker wäre er gern geworden, und auch die Biologie ist ihm in Verbindung mit privater Großzügigkeit nicht ganz fremd. Beckenbauer war zweimal verheiratet und hat von drei Frauen fünf Kinder. Mit Partnerin Heidi Burmester, Sohn Joel-Maximilian (4) und Tochter Francesca (2) lebt er in Going, nah an Kitzbühel. Bei der Familie findet Beckenbauer ausgerechnet vor dem Panorama des Wilden Kaisers Ruhe und Frieden. Wenn er denn Zeit hat.
Demnächst besucht er die 31 WM-Starter bei ihnen zuhause. Bald könnte er sich auf dem Chefsessel der Europäischen Fußball-Union wiederfinden. Die nächste Aufgabe? Wieder eine neue Herausforderung? Nicht einmal mit 60 wird Franz Beckenbauer vorläufig dazu kommen, diese Frage in aller Ruhe zu prüfen.

Artikel vom 10.09.2005