07.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Andris Nelsons (Probenfoto) dirigierte markant. Foto: Mario Berger

Ein Triumph
für Sol Gabetta

NWD-Saisonauftakt nach Maß

Von Udo Stephan Köhne
Herford (HK). Man hätte es zum Saisonauftakt leichter haben können. Aber die Nordwestdeutsche Philharmonie wollte es offenbar wissen. Drei Werke, an denen man trotz Popularitätsbonus scheitern kann, standen an. Am Ende aber hatte das Orchester die Untiefen der Werke erfolgreich umschifft und ließ sich feiern.

Die dritte Leonoren-Ouvertüre Beethovens etwa ist eines dieser Werke, die bekannt und beliebt sind und doch selten eine wirklich geschlossene Wiedergabe erfahren. Es gibt genug Dirigenten, die sich irgendwo im stilistischen Niemandsland verlieren: Beethoven bleibt dann zwar Beethoven, wird aber um das Außerordentliche gebracht. Der junge Gastdirigent Andris Nelsons hatte zwar ebenfalls mit der Stringenz der Wiedergabe zu kämpfen, auch weil er das Stück eher in Richtung sinfonische Dichtung denn Ouvertüre rückte, der dramatische Zugriff jedoch, ebenso die Beachtung manch instrumentaler Details ließen Beethoven schließlich mit wuchtiger Größe entstehen. Klar, dass andere Orchester den Schluss virtuoser und in schärferem Tempo spielen. Trotzdem lieferte die NWD eine gute Leistung ab - die sie in Dmitri Schostakowitschs erstem Konzert für Violoncello und Orchester bestätigen konnte. Hier geht es neben der Bewältigung rhythmisch vertrackter Passagen auch um instrumentale Farben: Grelle Klänge in den Ecksätzen, anmutige Intensität im ausgedehnten Moderato.
Das Orchester brachte sie auf, aber gereicht hätte dies allein nicht. Denn ohne einen Solisten, der rhythmischen Elan und emotionale Tiefe aufzubringen versteht, geht bei dem Russen wenig. Ein Glücksfall also, dass mit der 1981 in Argentinien geborenen Sol Gabetta eine Cellistin zur Verfügung stand, die das Konzert nicht nur »abzuarbeiten« verstand (wobei das Wort »Arbeit« gerade in den schnellen Außensätzen angebracht ist), sondern immer wieder auf die Ebene der Gestaltung vordringen konnte. Verblüffend, wie sie zwischen den kraftraubenden Stellen noch Zeit für dynamische Abstufungen fand. Wo Solistenkollegen nur noch auf »Durchkommen« aus sind, standen Gabetta interpretatorische Mittel zur Verfügung.
Vielleicht hätte sie in der »Cadenza« etwas schneller zur Sache kommen können: ein Triumph war ihre Wiedergabe dennoch. Der Applaus wollte auch nach einer verspielten und klangsensiblen Zugabe kaum enden. Die NWD unter dem markant und auf das Wesentliche achtenden Andris Nelsons wollte dem nicht nachstehen und erspielte sich gleichfalls eine Zugabe. Mit den Slawischen Tänzen op. 46 von Antonin Dvorak mag das leicht sein, könnte man glauben. Und doch sind die acht Stücke - ob wie hier komplett gespielt oder nicht - kein Selbstläufer. Zu hoch sind die instrumentalen Anforderungen, zu heikel die tempomäßige Balance. Mit lärmender Geschäftigkeit allein kommt man nicht zum Zuge. Klangscharf und doch musikalisch elegant, kompakt und doch die häufigen Gegenmelodien nicht unterschlagend: so müsste eine ideale Darbietung aussehen. Unter diesen Voraussetzungen betrachtet, schlug sich die NWD nicht nur wacker, sondern war dem slawischen Flair in vielen Stücken dicht auf den Fersen.
Hinreißend der einleitende Furiant, gefühlvoll die Sousedska (Nr.4), überzeugend die Spritzigkeit des Orchesterspiels und die Wärme des Klangbilds. Das Publikum applaudierte folglich begeistert dem Orchester, dieses wiederum dem Dirigenten. Daraufhin gab es den fünften Tanz ein zweites Mal.

Artikel vom 07.09.2005