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Bissiges Duo
rechnet mit
Germania ab

Kabarett zum Semesterstart

Verl/Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Gibt es eine Zukunft nach dem 18. September? Für die Kabarettisten Harald Funke und Jochen Rüther nicht wirklich. Für sie ist klar: Der Deutsche will sich nach Jahren der Depression jetzt mal wieder so richtig selbst quälen.

»Angie, gib uns Schmerz, gib uns Leid(t)kultur!« hören sie aus der deutschen Seele heraus und erwarten Chancengleichheit nach Westerwelle: »Wenn man keine Chancen hat, dann ist das auch Chancengleichheit«, stellte Harald Funke fest.
Die schonungslose Abrechnung der beiden prominenten Kabarettisten mit der Politik, dem deutschen Wesen, und ihre Diagnose eines gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, moralischen und kulturellen Niederganges bildeten den Auftakt des neuen Volkshochschulsemesters in der Aula der Realschule. Ihren 80 Zuhörern - unter ihnen auch Bürgermeister Paul Hermreck sowie Bürgermeister Hubert Erichlandwehr aus Schloß Holte-Stukenbrock - verkündeten sie: »Sie erfahren heute, wie das Leben wirklich ist und wie Sie wirklich sind. Sympathisch?!«
Was dann über das verdutzte Publikum hereinbrach, war ein Feuerwerk an Informationen, Pointen, Bildern, Sprachspielen, Sketchen, satirischen Anspielungen, bissigen Kommentaren und Zwerchfell reizenden Analysen, so dass es den Zuhörern ganz schwindelig werden konnte und sie spätestens nach einer halben Stunde wussten, was VHS-Leiter Dr. Siegfried Kosubek bei der Eröffnung der Veranstaltung mit seiner Ankündigung gemeint hatte: »Es wird ein fulminanter Abend.«
Zwei Stunden lang ging die rasante Fahrt durch die deutsche Seele, die an der Oberfläche dahin surft. Das Fazit nahmen Funke und Rüther gleich vorweg: »Es ist alles zu spät, wir Deutschen sterben aus.« Und eine Diagnose lieferten sie sogleich mit: »Deutschland schrumpft und mit den Gehirnen fängt es an.« Gründe dafür fanden sie viele, aber vor allem in der Politik. Und: »Jeder Deutsche sitzt in seinem Leben elf Jahre vor dem Fernseher, das muss man sich mal vorstellen«, meinte Jochen Rüther. Außerdem sei der Durchschnittskonsum von zehn Litern Alkohol pro Jahr Weltspitze. Das wiederum sei ein echter Wirtschaftsfaktor. »Zehn Liter pro Kopf bringen 100 000 Arbeitsplätze, da könnte man doch die Vollbeschäftigung anstreben«, schlugen sie als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit vor.
Die Zuschauer konnten ein bisschen fürchten, dass ihre Gehirne schon hier und da an der Schrumpfung teilhaben, denn was die ehemaligen Mitglieder der »Kleinen Mäxe« in den atemberaubenden zwei Stunden über den gebärunfreudigen, sich depressiv in der Alterspyramide einbalsamierenden »Germanosaurus Ex« ablieferten, war in jeder Beziehung schonungslos. Und dazu gehörte auch, dass das Programm geeignet war, einen vierstündigen Abend zu füllen.
Ihr Spagat zwischen intellektuellen Höhenflügen und unverblümt derben Bildern, zu denen oft nur ein Wortspiel als Brücke führte, erforderte volle Konzentration. Entspannt genießen konnten die Zuhörer dann wieder, wenn der gestandene Schauspieler, Regisseur und Dozent für Theater und Kabarett, Harald Funke, sein mimisches Talent ausspielte und die Sprachlosigkeit zu einem genialen Instrument der Kommunikation machte. Jochen Rüther war mehr für die berechneten Frequenzen und die spitzen Analysen zuständig. Da konnte der eine oder andere beim begeisterten und konzentrierten Zuhören schon mal das Lachen versäumen, durfte dann aber bei der nächsten oder übernächsten Pointe die aufgestaute Zwerchfellreizung um so kräftiger loswerden. Vor allem in der zweiten Stunde des Abends fanden sich Publikum und Kabarettisten, das Duo legte zum Schluss sogar noch eine Viertelstunde drauf. Die Begeisterung mündete immer wieder in stürmischen Beifall, herzerfrischendes Lachen und schließlich in einen mehrminütigen Schlussapplaus. Und der kam von Herzen, wie auch die Blumen für das Duo. Manfred Köhler

Artikel vom 07.09.2005