07.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Bild aus unbeschwerten Tagen in New Orleans: Nicole Chaz mit ihrem Ehemann Jeff. Fotos: WB

»Wir leben! Das ist das Wichtigste«

Gebürtige Versmolderin (36) entkommt Hurrikan »Katrina« -ƊMutter Gisela Montag in Sorge

Von Oliver Horst
Versmold (WB). Menschen, die auf Hausdächern auf Hilfe warten. Menschen, die ohne Strom und Wasser auskommen müssen, abgeschnitten von der Außenwelt um ihr Leben kämpfen. Dieser Horror ist Nicole und Jeff Chaz erspart geblieben. Die 36-Jährige gebürtige Versmolderin hat dennoch fast alles verloren. Hurrikan »Katrina« raubte dem Paar in New Orleans die Lebensgrundlage. Sorgenvolle Tage voller Ungewissheit durchlebte in Peckeloh Mutter Gisela Montag.

Seit sieben Jahren ist Nicole Chaz in New Orleans zuhause. Auf einer Rundreise gemeinsam mit ihrer Mutter fand sie in der Heimatstadt des gemeinsamen Idols, Jazz-Legende Fats Domino, die große Liebe: den Blues-Musiker Jeff Chaz. Seinetwegen wagte sie schließlich den großen Schritt in die USA. Vieles von dem, was sich beide seither aufgebaut haben, haben »Katrina« und die Wassermassen vor zehn Tagen zerstört. »Wir leben! Das ist das Wichtigste«, sagte Nicole Chaz gestern dem VERSMOLDER ANZEIGER. Gemeinsam mit ihrem Mann hat die 36-Jährige Unterschlupf bei Freunden in Pensacola im US-Bundesstaat Florida gefunden. »Normalerweise fährt man mit dem Auto von New Orleans aus fünf Stunden. Wegen des Staus haben wir zwölf gebraucht«, sagt Nicole Chaz.
»Wir hatten bis zuletzt gezögert die Stadt zu verlassen, hatten gehofft, dass der Hurrikan doch noch eine Kurve um New Orleans macht«, sagt sie. »Katrina« tat dies aber nicht. So verließen beide auf den letzten Drücker in ihrem 30 Jahre alten Ford Granada die Stadt. »Mitgenommen haben wir fast gar nichts. Ich nur ein paar Sachen in einem Rucksack, mein Mann einige Dinge in einer Tasche. Wir haben gedacht, es ist wie immer bei den drei, vier schweren Tropenstürmen oder Hurrikans jedes Jahr und wir kommen nach ein paar Tagen zurück«, sagt Nicole Chaz. »Meinen vier Katzen habe ich viel Futter dort gelassen. Ich hoffe, ihnen geht es gut.«
Was aus ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Hauses im Stadtteil Orleans Parish in der Nähe des Superdomes, der zum Aufnahmelager umfunktioniert wurde, geworden ist, weiß sie bis heute nicht. »Es gibt niemanden in der Stadt, den ich erreichen kann. Ich habe schon versucht auf Satellitenbildern im Internet etwas zu erkennen, doch auch das ist mir nicht gelungen.« Die Hoffnung ist bei ihr und ihrem Mann dennoch groß, noch etwas vorzufinden. »Es kann aber sein, dass auch bei uns geplündert worden ist. Als wir aufgebrochen sind, fuhren Leute auf Fahrrädern durchs Viertel, die wir nie zuvor dort gesehen haben. Die haben sich schon gezielt umgeschaut.« Jetzt warten Jeff und Nicole Chaz darauf, wenigstens für einige Stunden zurückkehren zu können, um ihre Habseligkeiten abzuholen.
»Sie haben überlebt und zum Glück das Elend in New Orleans in den vergangenen Tagen nicht durchmachen müssen«, sagt Gisela Montag. Die Peckeloherin telefoniert täglich mit ihrer Tochter. Nachdem »Katrina« sich am Sonntag vor zehn Tagen über New Orleans ausgetobt hatte und die Stadt durch die Brüche von zwei Dämmen mit den Wassermassen im Chaos versank, hatten Mutter und Tochter drei Tage lang keinen Kontakt. »Am Samstagabend hatten wir noch telefoniert. Nicole sagte mir, dass die Straßen schon vollkommen verstopft sind und sie noch nicht entschieden haben, ob sie mit dem Auto fliehen. Ich riet ihr, sich im Superdome in Sicherheit zu bringen. Das hat sie glücklicherweise nicht getan«, sagt Gisela Montag mit Blick auf die katastrophalen Zustände, die sich dort entwickelten. »Dann rief sie mich endlich aus Florida an, dass sie in Sicherheit sind.« Ihre jährliche Reise nach New Orleans, die für November geplant war, wird sie stornieren. Denn noch ist für Tochter und Schwiegersohn völlig unklar, wo sie ein neues Leben aufbauen. »Die nächsten Monate werden wir wohl in Florida bleiben, weil in New Orleans vorerst nicht ans Arbeiten zu denken ist. Aber wir wollen wieder zurück. New Orleans ist einfach einzigartig«, sagt Nicole Chaz.

Artikel vom 07.09.2005