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Unmenschliche Strafe im Fußbodenloch

Künstler beschäftigten sich eindrucksvoll mit der Vergangenheit der Industriebrache


Gütersloh (joz). Für die Besucher gab es auf dem Bartels-Gelände viel zu entdecken. Die Ausstellung »Kunst Et Stoff« in der Kleinkinderschule, Licht-, Foto- und Klanginstallationen, Audiovisuelle Objekte sowie Graffiti-Kunst wechselten sich mit Live-Musik, Kabarett und Open-Air-Kino zwei Tage lang ab.
In der Klangkulisse »In Betrieb« von Michaela Makedenopoulou, die das hämmernde Geräusch von Webstühlen durch riesige, spärlich erleuchtete Fabrikhallen tönen ließ, entstand jene Atmosphäre, die sich für die Fotoinstallationen von Garvin Nolte hervorragend eignete. Der in Köln wie Florenz wohnende Künstler fotografierte das Waschbecken aus der kleinen Näherei und brachte die Fotografie an dem genannten Objekt auch an. Unter dem Titel »Industriale« wurden sieben weitere auf Objekte bezogene Fotografien wie ein Kellerlager mit alten Spindeln, ein Belüftungsschacht oder ein alter Fahrradständer sehr gekonnt zu Kunstwerken erhoben.
Die Bielefelder Grafik-Design-Studenten Malik Heilmann aus Usbekistan und Puya Bagheri aus dem Iran haben mit einer sehr farbenfrohen, exotisch anmutenden Frauengestalt, die in wellenförmige Stoffe gehüllt ist, die zur Berliner Straße zeigende Außenwand von Bartels malerisch verschönert. Audiovisuelle Objekte und Installationen wurden unter dem Titel »Roter Faden« von »El Kapitano«, Michael Beckett und Nils El Grube ausgestellt. Die durch einen Verstärker hörbar gemachten Geräusche des roten Webfadens, der über eine Saite gezogen wurde, standen in einer sensibel getroffenen Konkurrenz zu den uralten, halb verrosteten Schaltvorrichtungen. In der ehemaligen Kleinkinderschule ging Esther Burger in ihrer Rauminstallation »Loch« mit einigen in Silikon konservierten, vergrößerten Porträtfotografien ehemaliger Betroffener auf die unmenschliche Bestrafungsform der legendären Schwester Lydia ein. Im Hintergrund lief das Tonband mit Erinnerungen derer, die ehemals in dem Loch unter dem Fußboden ihre Strafe absitzen mussten.
WESTFALEN-BLATT-Mitarbeiter Collin Klostermeier stellte im Nebenraum eine ganze Reihe auf Posterformat vergrößerte, ausdruckstarke Fotografien der seit 30 Jahren ruhenden Industriebrache unter dem Titel »Spurensicherung vor dem Ende« aus. Sein Bruder Marvin Klostermeier komplettierte mit seinen mit dem Computer überarbeiteten Bleistiftzeichnungen unter der Bezeichnung »Wandertag« die Motive des seit 30 Jahren brach liegenden Geländes. Er stellte mit Schrott spielende Kinder dar.
Birgit Melisch und Jörg-Uwe Korth brachten in ihrer Collage »Rollenspiel« mit sieben sich drehenden spulenförmigen Rollen assoziativ ebenso viele wichtige, deutsche Frauengestalten der 20er Jahren ins Spiel. Mary Wigman, Maria Montessori oder Coco Chanel zählten zu den auf den Rollen abgebildeten Frauen. Thomas Spooren hatte mit dem Titel »Bartels in Gütersloh« dafür gesorgt, dass einerseits Bartels-Werbefilme von 1936 und 1956 gezeigt wurden, andererseits sowohl in der Kleinkinderschule wie auch an anderen prägnanten Blickfängen eine große Anzahl beeindruckender, historischer Fotos in Posterformat ausgestellt wurden. Die Lichtinszenierungen der »European Light Designers Association« (ELDA) verliehen dem gesamten Gelände des Nachts einen beeindruckenden, mystisch-fantastischen Glanz.
Live-Musik präsentierte am Freitagabend die Gütersloher Gruppe »AUT IDEM«. Die Dortmunder Band »Die Komm' mit Mann!s« setzten das Musikprogramm mit absolut tanzbaren Soulklassikern fort. Am Samstagabend brachte schließlich Nessie Tausendschön mit ihrem »Frustschutz«-Kabarett so manchen Zuschauer zum Schmunzeln.

Artikel vom 05.09.2005