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Lehrstellen: Situation war noch nie so schlecht

100 Bewerber auf 16 Stellen: Bilanz erreicht Tiefpunkt

Vlotho/Kreis Herford (bex). Der »demographische Ausnahmezustand« der Region wird Lehrstellensuchenden zum Verhängnis: Noch nie war die Situation auf dem Ausbildungsmarkt im Arbeitsamtsbezirk Herford so schlecht wie in diesem Jahr. Kurz vor Ende der Vermittlungsfrist (30. September) kommen auf 1456 Bewerber nur noch 227 offene Lehrstellen.

Das bedeutet 100 Bewerber auf 16 Stellen. »Und selbst diese Statistik unterzeichnet die Realität noch«, sagt Günter Lessmann von der Arbeitsagentur. Denn während rund 90 Prozent der Betriebe ihre Ausbildungsstellen der Agentur melden würden, sei die Dunkelziffer bei den Bewerbern viel höher. »Eine solch niederschmetternde Bilanz haben wir seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen noch nie gehabt. OWL ist Schlusslicht in NRW«, erklärt Agentur-Chef Dr. Thomas Baecker.
Ein Grund ist die Bevölkerungsentwicklung: OWL ist - hauptsächlich durch den Zuzug von Spätaussiedlern - eine junge Region. »Für einen dynamischen Wirtschaftsstandort eigentlich ein Vorteil, nur bei der Lehrstellensuche in konjunkturell schwieriger Zeit ein großes Problem«, erläutert Lessmann. Hinzu kommt die abnehmende Ausbildungsbereitschaft der heimischen Betriebe. Die Zahl der gemeldeten Stellen, insgesamt waren es 2816, ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 13 Prozent, im Kreis Herford sogar um 18,4 Prozent, zurückgegangen. Die Zahl der Bewerber stieg hingegen um mehr als zehn Prozent auf 4808. »Das wird bis 2012 so weiter gehen«, prognostiziert Lessmann. Erst im Jahr 2020 werde bei der Zahl der Bewerber wieder das Niveau dieses Jahres erreicht werden. »Im vergangenen Jahr hatten wir zum 30. September noch 479 nicht vermittelte Bewerber. In diesem Jahr werden es mehr sein«, gibt er sich keinen Illusionen hin.
»Deshalb brauchen wir strukturell einschneidende Veränderungen«, wiederholte Baecker seine Forderung nach Einrichtung einer »Berufsfachschule plus« an den Berufskollegs. Hierbei werden die Schüler (keine Ausbildungsvergütung) durch schulische Ausbildung und Betriebspraktika zur Kammerprüfung geführt - in anderen EU-Ländern längst Realität. »Dies ist eine Alternative auf Zeit.« Mit der dualen Ausbildung sei der jetzige Notstand nicht zu beheben. Weniger als 30 Prozent der Betriebe würden überhaupt noch ausbilden.
»Und die Berufskollegs lediglich als Warteschleife zu nutzen, wie dies viele erfolglose Bewerber machen, ist eine Vergeudung wirtschaftlicher Ressourcen und der wertvollen Lebenszeit der Jugendlichen.« Ein Platz am Berufskolleg, rechnete Baecker vor, koste den Kreis immerhin 4000 Euro im Jahr.

Artikel vom 02.09.2005