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Der Dorfschmied mit
dem »zweiten Gesicht«

Vor 100 Jahren starb der »Mechanikus« Johann Fischer

Bad Lippspringe (kar). Unter dem Arm den Krückstock, im Arbeitskittel einen wuchtigen Schraubenschlüssel, die kurze Jagdpfeife in der rechten Hand - nicht anders kannten die Lippspringer ihren Dorfschmied und Schlosser Johann Fischer, im Volksmund auch der »Mechanikus« genannt. Als das Lippspringer Original vor genau 100 Jahren Ende August 1905 verstarb, blieb nicht nur seine unverwechselbare Erscheinung unvergessen, es hielt sich auch der (Aber-)Glaube, Johann Fischer habe die seltene Gabe besessen, den Menschen die Zukunft zu weissagen.

Ältere Badestädter erzählen heute noch fast ehrfurchtsvoll davon, wie der »Mechanikus« das schwere Eisenbahnunglück bei Altenbeken im Jahre 1901 und den großen Brand in seiner Heimatstadt 1894 in düsteren Worten prophezeite. Auch unzählige Einzelschicksale hat er vorausgesehen, was ihm schnell Ärger mit dem damaligen katholischen Pfarrer in Lippspringe, Anton Kleine (1830-1884) einbrachte. Der warf ihm wiederholt vor, unnötig Unruhe unter der Bevölkerung zu verbreiten. Von derartigen Vorhaltungen ließ sich Johann Fischer aber nur wenig beeindrucken. Er machte seine zum Teil schlimmen Vorahnungen weiterhin öffentlich.
Ein erstes Beispiel: Als bei der großen Feuersbrunst, die Lippspringe 1894 heimsuchte, auch das Hotel Rath an der katholischen Kirche niederbrannte, vertraute er dem Besitzer Josef Rath an: »Den Wiederaufbau des Hauses hast du noch erlebt, einziehen aber wirst du nicht mehr«. Wenig später verunglückte Josef Rath tatsächlich auf einer noch unbefestigten Kellertreppe, obwohl ihn die Bauleute eindringlich vor dem Betreten gewarnt hatten. Jede ärztliche Hilfe kam zu spät, der Hotelbesitzer starb.
Weitere Weissagungen Fischers wurden in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Heimat-Zeitschrift »Die Warte« veröffentlicht. Zum Beispiel diese: Vor dem großen Brand im Jahre 1894 teilte Fischer einem Bauern mit, dass sein Haus nicht abbrennen würde, er könne beruhigt sein. Und wirklich, das Haus blieb erhalten, obschon es in unmittelbarer Nähe der Feuersbrunst stand.
Von einer besonders kuriosen Begebenheit, die ein gerichtliches Nachspiel haben sollte, berichtete Wilhelm Ehl, ein Freund Johann Fischers. Danach befand sich der »Mechanikus« eines Tages - so um die Jahrhundertwende - im benachbarten Schlangen, wo sich seine verschiedenen Weissagungen bereits herumgesprochen hatten. In der Gastwirtschaft Sybille traf er auf eine gut gelaunte Gästerunde, die unbedingt erfahren wollte, was den Seher aus Lippspringe über die lippische Grenze geführt hatte. Er sei nur gekommen, antwortete der »Mechanikus«, um den örtlichen Gendarmen zu warnen. Denn der werde beim nächsten Brandeinsatz in eine Jauchekuhle fallen und dabei in Lebensgefahr geraten.
Einige Wochen später stand ein großes Gehöft in Schlangen in Flammen. Die Feuerwehr rückte an und mit ihr auch der Gendarm, der den Einsatz überwachen sollte. Plötzlich drohte eine mächtige Giebelwand einzustürzen. Der Gendarm sprang zurück, stolperte dabei über eine Wagendeichsel und fiel tatsächlich in eine Jauchekuhle. Er konnte aber unter dem Gelächter der Umstehenden gerettet werden und kam mit dem Schrecken davon.
Überliefert aus dieser Zeit ist auch sein Wort: »Ich sehe Lippspringe umgeben von Heilstätten und Lippspringe selbst ist eine Heulstätte«. Die Badestädter Bürger und die hier heute politisch Verantwortlichen werden sich auf diesen bedeutsamen Satz ihren eigenen Reim machen.
Seit dem Tode Johann Fischers sind genau 100 Jahre vergangen. Vergessen aber ist er bis heute nicht. Ein vom Paderborner Bildhauer Josef Rikus im Auftrag der Stadt angefertigtes Denkmal (1986) auf dem Marktplatz wird auch in Zukunft die Erinnerung an den »Mechanikus« wach halten.

Artikel vom 31.08.2005