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Kunst ins Grundgesetz

Union will in Artikel 20b Kultur als Staatsziel verankern

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Als »absolute Ente« hat gestern der Kulturreferent der Union, Dr. Stephan Frucht, die Behauptung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zurückgewiesen, CDU und CSU gefährdeten die deutsche Kulturnation.

Die Union bekenne sich nicht mehr eindeutig zur Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz und zur Fortsetzung der Bundestags-Enquetekommission »Kultur in Deutschland«, hatte Thierse am Mittwoch behauptet. Der Bundestagspräsident ist zugleich Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokraten.
Stephan Frucht, Mitglied der Enquetekommission, wies das als »bloße Polemik« zurück. Die Union habe bereits Ende 2003 in der Arbeitsgruppe »Kulturstandort Deutschland« in einem Positionspapier vorgeschlagen, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben. Frucht sagte dieser Zeitung: »Weder Wolfgang Thierse noch Kulturstaatssekretärin Christina Weiss hat das Thema ins Gespräch gebracht, sondern wir.« Wenn Tierschutz im Grundgesetz verankert sei, müsse auch die Gattung Mensch in ihrem ganzen Dasein, zu dem auch die Kultur gehöre, bewahrt werden.
Die Vorsitzende der Enquetekommission »Kultur in Deutschland«, Gitta Connemann (CDU), möchte, dass in einem neuen Artikel 20b festgehalten wird: »Der Staat schützt und fördert die Kultur.« 780 000 Männer und Frauen arbeiten in Deutschland in Kulturberufen, das sind mehr als in der Automobilindustrie. Acht Milliarden Euro geben die 16 Bundesländer für Kultur aus. Ausgerechnet im Land der Dichter und Denker fehle ein staatliches Bekenntnis zur Kultur, kritisiert Connemann im Wochenblatt »Das Parlament«.
Seit der vorzeitigen Auflösung des Bundestages liegt die 2003 eingerichtete Enquetekommission auf Eis. Die 22 Mitglieder, zu denen nicht nur Politiker, sondern auch Wissenschaftler, der Musiker Heinz Rudolf Kunze und die Intendantin des Kunstfestes Weimar, Nike Wagner, gehören, erfassen die Situation von Kunst und Kultur, analysieren Probleme und geben Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung.
Der letzte Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe liegt 30 Jahre zurück. Neue Untersuchungen der Enquetekommission erbrachten ernüchternde Ergebnisse: Demnach erzielt ein freiberuflich arbeitender Künstler im Schnitt nur ein Jahreseinkommen von 11 144 Euro. Damit die Resultate aus zwei Jahren Arbeit nicht in Bundestags-Archiven verschwinden, werde sich die Union nach einem Machtwechsel im September für die Weiterführung der Kommission einsetzen, sagte Frucht und verwies auf die Kanzlerkandidatin: »Auch Angela Merkel hat sich dazu bekannt.«

Artikel vom 26.08.2005