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Von Stephan Rechlin

Gütersloher
Wochenschauer

Parallelgesellschaften


Neben all dem Klugen, das über Parallelgesellschaften geschrieben wurde, darf man nicht vergessen, dass es nebeneinander herlaufende gesellschaftliche Entwicklungen längst jenseits der ausländischen Inlandgesellschaften gegeben hat. Einige Berufsgruppen müssen für ihr Geld viel härter arbeiten als andere. Der Vietnamese aus dem Asia-Bistro etwa, den man an allen Sonn- und Feiertagen in seinem kleinen Restaurant bei der Arbeit findet, war seit fünf Jahren nicht mehr im Urlaub. Die deutsche Lehrerin (Vorsicht: klingt nach Klischee, ist aber wahr) hat in diesem Jahr gut 60 Werktage Urlaub, findet es aber mehrmaliger Erwähnung wert, dass sie einen Tag in den großen Ferien für eine Projektsitzung opfern muss.
Auch sonst herrscht kein Mangel an Parallelgesellschaften: Die einen interessieren sich partout nicht für Fußball, die anderen brennend, beide Gruppen leben konsequent aneinander vorbei, kommen nicht ins Gespräch oder verlassen beim leisesten Versuch einer Bundesligakonferenzschaltung protestierend den Raum. Eine riesige Parallelgesellschaft bilden ferner die Menschen, die sich Computerzeitschriften kaufen und die, die es nicht tun. Die dafür aber auch nicht den blassesten Schimmer haben, was ein Weblog, ein Registry-Hack oder ein Persistent Uniform Resource Locator sein mag. Sie kennen kein schlechtes Gewissen, sie verweisen auf Juristen und Steuerberater, die ja auch keiner versteht.
Die eingefleischtesten Parallel-Gesellschaften aber bilden Männer und Frauen. Am Sonntag beim Brunch zum Beispiel lieferten zwei Frauen zwei Männern vier Stunden lang die komplette Analyse der Trennung von Brad Pitt und Jennifer Aniston. Endgültig. Konsequent. Zum Verrückt-, zum Parallelwerden.

Artikel vom 27.08.2005