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Sprache und Moral verfallen

Achtung vor dem politischen Meinungsgegner ist unerlässlich


Zu der abfälligen Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder über die Vorgängerregierung von Union und FDP:

»Das ist doch das Groteske, wenn man die Penner von gestern den Aufbruch von morgen gestalten lassen will.«
Nach mehr als drei Jahrzehnten beruflicher Tätigkeit mit und für Menschen, die aufgrund ihrer schicksalhaften Lebensverhältnisse ins soziale Abseits geraten waren, habe ich oft erleben müssen, als wie verletzend und demütigend diese Menschen es empfanden, wenn sie frivol und gedankenlos in der Gesellschaft leichtfertig als »Penner« bezeichnet wurden. Ich denke da gerade an kinderreiche Familien in Notunterkünften, an das fahrende Volk der Sinti und Roma, alleinstehende Wohnungslose/Nichtsesshafte, Haftentlassene und an die vielen von Alkoholkrankheit betroffenen Personen, denen wir so oft in den Straßen unserer Städte begegnen.
Mit beharrlichem Bemühen habe ich immer wieder bei kritischen Zeitgenossen Verständnis und Sensibilität wecken können, das hässliche und menschenverachtende Schimpfwort »Penner« aus dem Vokabular zu streichen, wenn von sozial Schwächeren gesprochen wurde. Die Herkunftsdeutung verweist auf ein Relikt aus der Gaunersprache des 17./18. Jahrhunderts, als bereits Faulenzer, Land- und Stadtstreicher mit dieser abfälligen Vokabel beschimpft wurden.
Wenn der amtierende deutsche Bundeskanzler seinen jubelnden Genossen zuruft, wie er die politisch anders Denkenden einstuft - nämlich als »Penner«-, dann löst das bei mir nicht nur große Besorgnis im Blick auf Achtung der Menschenwürde und einer guten Kultur des Umgangs aus, sondern macht mir auch deutlich, wie stark der sprachliche und moralische Verfall inzwischen sogar auch in Regierungskreisen etabliert ist und der politische Konkurrent schonungslos herabgesetzt wird. Bislang war es das besondere Privileg des Vizekanzlers Joseph Fischer, das Sprachniveau durch kraftvolle Zoten zu prägen.
Eine Gesellschaft, die nach neuen Werten sucht, wird sicherlich keine Orientierung darin erfahren, dass sogar der »Kanzler aller Deutschen« die Oppositionsparteien und somit auch deren Anhängerschaft mit Spott und verbaler Demütigung überschüttet. Die kämpferische Einstimmung auf den Bundestagswahlkampf ist das eine - und die Achtung vor dem politischen Meinungsgegner ist das andere. Beides sollte in gutem Gleichgewicht gehalten werden - gerade auch von einem um »neues Vertrauen« werbenden Kanzler.
KLAUS-JÜRGEN WOLTER33058 Paderborn

Artikel vom 10.09.2005