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Liebesarien in zugiger Scheune

Klassik-Sommer mit Zwanziger-Jahre-Revue begeisternd beendet

Von Andrea Pistorius
(Text und Foto)
Bad Lippspringe (WV). Es ist kaum zu fassen: Da steht die erste Garde der Nationaloper Bukarest auf der Bühne in einer zugigen Scheune, das Publikum lauscht - fröstelnd in Plastiksesseln sitzend; und doch haben alle Freude an der wunderbaren Musik und ihrer Darbietung und gehen heim mit dem Gefühl, etwas Einmaliges erlebt zu haben.

Ungewöhnliche Konzertsäle sind eines der Markenzeichen des Klassik-Sommers Bad Lippspringe, der zum Abschluss dieser Saison die Scheune auf Gut Redingerhof als Plattform für eine heiter-romantische Zwanziger-Jahre-Revue nutzte. Zwischen Fachwerkbalken und Bruchsteingemäuer erwiesen »Die lustige Witwe« und »Der Graf von Luxemburg« mit sprühendem Temperament ihre Reverenz; wen störte es da, dass die Abendkühle langsam die Beine hinaufzog? Der Vollmond schien durch die Ritzen des Ziegeldachs, während die rumänische Soubrette ihrem Galan kokett den Zylinder zurecht rückte und schmelzend von der Liebe sang. Scheinwerfer tauchten die Bühne in Rot, von draußen drang ein Käuzchenruf herein und dann brandete Beifall auf, als der Bariton singend das legendäre »Maxim« aufsuchte.
Die Künstler aus Osteuropa hatten sich Mühe gegeben und ihre Operettenstücke auf Deutsch einstudiert. Puristen mochten sich daran stören, wenn auf Grund fehlender Übung »Lottusblüten« und »'erzen« besungen wurden; doch wer allein dem Zusammenklang der beschwingten Musik und der schönen Stimmen lauschte, der konnte nur genießen.
Das Ensemble hatte sich mit wenigen Requisiten stilecht ausstaffiert, und auch das Publikum trug Frack und Federboa. Lediglich Intendant Rudolf Broer fiel mit seinen grünen Gummistiefeln ein wenig aus dem Rahmen; doch wer mit einer Kuhglocke über ein regennasses Hofgelände wandert, um die Konzertbesucher nach der Pause wieder im Scheunensaal zu versammeln, der darf auch Stiefel mit Zylinder kombinieren.
Am E-Piano begleitete Anca Maria Soneas gewohnt routiniert und mit viel Gefühl, das den Damen des Streichquartetts - möglicherweise wegen des widrigen Wetters - ein wenig abhanden gekommen war. Ein Mantel über dem Nichts von Abendkleid hätte vielleicht mehr geholfen als jeder schnelle Walzertakt.
Das Ensemble reist in dieser Woche wieder heim nach Rumänien, und ob es 2006 zurückkehren wird, steht noch in den Sternen. Denn die Festspiele, die in acht Jahren 70 000 Zuhörer in 270 Veranstaltungen gelockt haben, benötigen nach dem freiwilligen Abschied von Rudolf Broer eine neue Organisation.

Artikel vom 22.08.2005