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Geistig in Warburg geprägt

Paula Kienzle hat ein Buch über Schwester Philomena geschrieben

Warburg (WB/ski). Sie ist eine der großen Frauengestalten der deutschen Kirchengeschichte: Schwester Philomena, die 1837 in Warburg als Gertrud Schmittdiel das Licht der Welt erblickte. Paula Kienzle hat nach jahrelangen historischen Forschungen jetzt ein Buch über das Leben und Wirken der Ordensschwester, die Spuren nicht nur in Ostwestfalen, sondern auch in Nord- und Südamerika hinterlassen hat, geschrieben.
Paula Kienzle (65), die Anfang der 90er Jahre Grundschullehrerin in Warburg war, hat ein Buch über Schwester Philomena geschrieben. Die Ordensschwester wurde als Gertrud Schmittdiel in Warburg geboren und ist am Ikenberg in der heutigen Gaststätte »Zur Alm« aufgewachsen. Foto: Ulrich Schlottmann
Paula Kienzle (65) ist pensionierte Grund- und Hauptschullehrerin und lebt in Rottenburg bei Stuttgart. Schon seit Jahren forscht sie über Lebensgeschichten von Frauen. Mit Schwester Philomena kam sie Anfang der 90er Jahre in Berührung, als sie für einige Jahre Grundschullehrerin in Warburg war und im hiesigen katholischen Frauenbund mitwirkte. Kontakte zu den damaligen Weggefährtinnen hat sie nie abreißen lassen, regelmäßig ist sie zu Besuch in Warburg.
»Ich fand diese Frau so bemerkenswert, dass mich das Thema nicht mehr losgelassen hat«, beschreibt sie ihre Motivation, sich mit der Lebensgeschichte der Schwester Philomena zu befassen. In der Stuttgarter Journalistin Karin Lutz-Efinger (47) fand sie eine Mitautorin, mit der sie gemeinsam das »Komm, Schwester, tritt ins Licht« betitelte Buchprojekt umsetzte.
Paula Kienzle beschreibt darin, dass Gertrud Schmittdiel die wesentliche Prägung für ihr späteres Wirken in ihrer Warburger Familie, die im früheren Hülsmannschen Haus, der heutigen Gaststätte »Zur Alm«, am Ikenberg beheimatet war, erfahren hat.
Ehe Gertrud Schmittdiel im Jahr 1858 ins Kloster eintritt, hat sie bereits erste Berufserfahrungen als Lehrerin in Bökendorf bei Brakel hinter sich. Nach ihrem Eintritt in den Orden von Pauline von Mallinckrodt in Paderborn im Oktober 1858 leitet sie die zweite Elementarklasse in Solingen. Dann folgen aufreibende, erfahrungsreiche Jahre in Nord- und Südamerika, wo sie unter anderem maßgeblich für den Aufbau des Schulwesens verantwortlich ist.
Von 1874 bis 1881 ist sie Assistentin und Sekretärin der Provinzialoberin in Nordamerika, in den Jahren 1881 bis 1887 nimmt sie selbst diese Funktion wahr. Später - in den Jahren 1893 bis 1905 - leitet sie dann als dritte Generaloberin im Paderborner Mutterhaus den Orden der Schwestern der Christlichen Liebe, bevor sie als Oberin ins Josephs-Haus nach Wiedenbrück geht, wo sie 1917 stirbt
Ein solcher Lebensweg ist dem Mädchen Gertrud nicht in die Wiege gelegt worden. Am 13. Juni 1837 erblickt sie in Warburg das Licht der Welt. Eine ausgeprägte Begabung und viel Durchhaltevermögen waren nötig, damit eine junge Frau Mitte des 19. Jahrhunderts derartige Anforderungen bewältigen konnte. Für Mädchen waren Ausbildungen, gar akademische Abschlüsse, nicht vorgesehen.
Besonderes Glück lag in der Tatsache, die Tochter des Elementarlehrers Heinrich Schmittdiel zu sein, der bereits selber eine universitäre Ausbildung in Mainz und die Lehrerausbildung im Oberhessischen Seminar in Marburg durchlaufen hatte.
Die Mittel für Pensionatsschulen und Hauslehrer waren im Hause Schmittdiel zwar nicht vorhanden, doch galt Bildung auch in der Herkunftsfamilie der Mutter als ein wichtiges Gut. Therese Heidenreich entstammte einer alten Warburger Familie mit geistig herausragenden Persönlichkeiten, wie beispielsweise dem Theologen Prof. Leander van Eß, Leiter des Lehrerseminars in Marburg und Bibelübersetzer, Peter van Eß, Benediktinerpater und Abt in Kloster Huysburg, Generalstabsarzt Dr. med. August Heidenreich in Darmstadt und dessen Ehefrau Dr. med. Charlotte von Heidenreich gen. v. Siebold, die als die erste Frauenärztin und Geburtshelferin der Welt gilt und in Adelskreisen hoch geschätzt war.
Trotz des frühen Todes der Mutter verbringt Gertrud in Warburg eine behütete Kindheit. Vater Heinrich verfügt als Lehrer zwar über ein festes Einkommen, muss jedoch angesichts der großen Kinderschar mit jedem Pfennig rechnen. In der damaligen Zeit ist es üblich, dass man nur den Söhnen höhere Bildung und ein Studium ermöglicht. Die Rolle als Ehefrau und Mutter ist also für junge Frauen vorgegeben.
Für Gertrud Schmittdiel ist dies jedoch keine Perspektive. Sie hat zwar einen frommen, bescheidenen Grundcharakter, doch sie will etwas in ihrem Leben erreichen. Der Vater hat wohl kaum Zeit, die Tochter zu unterrichten. Doch Gertrud, »reich an Gaben des Herzens und des Geistes« findet einen Weg, sich ein umfassendes Wissen anzueignen.
Nach dem Besuch der Elementarschule gelingt es ihr als Externe, in der Höheren Schule der Ursulinen in Fritzlar aufgenommen zu werden. Sie macht im Anschluss an diese Ausbildung im Jahr 1856 das Abschlussexamen am Lehrerinnenseminar in Paderborn. Ihre berufliche Laufbahn beginnt in der Mädchenschule in Bökendorf. Die junge Lehrerin Fräulein Schmittdiel unterrichtet die Töchter aus den Familien der Dorfgemeinde, Tagelöhner zumeist.
Die Situation für Gertrud Schmittdiel ist nicht einfach. Zwar füllt ihr Beruf sie aus und sie unterrichtet die kleinen Mädchen mit großem Engagement, doch trotz aller Anerkennung fehlen die intellektuellen Anregungen für die begabte junge Frau, und das Lehrerinnen-Zölibat treibt sie zunehmend in soziale und geistige Isolation. Der Drang, sich weiter zu entfalten, neue Aufgaben zu übernehmen und Verantwortung tragen zu können, wird übermächtig. Gleichzeitig empfindet Gertrud schon seit langem eine wachsende Sehnsucht nach spirituell-religiösen Erfahrungen. Ihr Entschluss steht fest.
Im August 1858 bittet die 21-jährige Gertrud Schmittdiel bei der »Königlich Hochlöblichen« Regierung in Minden um ihre Entlassung aus dem Schuldienst, da sie sich »nach sorgfältiger Prüfung zum Eintritt in einen religiösen Orden entschlossen hat«, wie sie es formuliert. Ihre Wahl fällt auf die Kongregation der Schwestern der Christlichen Liebe in Paderborn. Mit ihrer Einkleidung am 2. Februar 1859 erhält sie den Namen Schwester Philomena. Eine facettenreiche »Klosterkarriere«, eingebettet in die wechselvolle Zeit des 19. Jahrhunderts, nimmt damit ihren Anfang...
Das Buch »Komm, Schwester, tritt ins Licht«, ist im »LIT-Verlag« erschienen, ISBN 3-8258-7339-0.

Artikel vom 20.08.2005