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Für Taxi-Bus-Fahrer Ingo Radtke sind Otto und Dad längst gute Bekannte.

Hand in Hand durchs Einkaufsland

Jeden Samstag bummeln die Ulenburg-Bewohner Otto und Dad durch den Werre-Park

Von Silke Schade
(Text und Fotos)
Löhne/Bad Oeynhausen (LZ). Menschen strömen, Türen zischen, Lautsprecher dröhnen. Hektik im Werre-Park. Und dann scheppert es auch noch von weitem. Ganz so, als ob irgendwo ein Teller zu Bruch geht. Klaus-Dieter Welder (50) zuckt zusammen. Otto Buschler (69) dreht sich um, winkt beruhigend ab: »Halb so wild!« Und dann umfasst er die Hand seines Freundes noch ein bisschen fester.

Jeden Samstag ist Einkaufstag. Dann machen sich die beiden Ulenburg-Bewohner fein, fahren mit dem Taxibus zum Werre-Park und stürzen sich ins geschäftige Treiben. Raus aus dem wohlbehüteten Heimalltag, rein ins abenteuerliche Einkaufsvergnügen. Und das alles ohne Betreuer, aber trotzdem nicht allein. Denn Otto hat Klaus-Dieter und Klaus-Dieter hat vor allem Otto. Zwei Freunde, die sich blind vertrauen.
Klaus-Dieter, der sich selbst den Namen Dad gegeben hat und längst von allen seinen Bekannten so genannt wird, kann weder sehen noch sprechen. Im Gegensatz zu Otto. Der nimmt seinen Freund selbstverständlich an die Hand oder hakt sich fürsorglich bei ihm ein. »Dad braucht meine Hilfe«, sagt Otto, zieht seinen Kumpel hinter sich her, um für ihn einen Sitzplatz zu suchen. Otto selbst folgt dem Duft, der ihm noch aus seiner früheren Arbeit in der Kartoffelschälerei bekannt ist, und steuert auf den Stand mit der überdimensionalen Pommestüten-Werbung zu.
»Pommes klein, eine Cola!« Knappe Worte genügen, die Dame hinterm Tresen versteht's. Otto bezahlt, kehrt - die Hände voll - zurück zu Dad und teilt brüderlich mit ihm.
Die Verpackungen wandern in den Mülleimer. Otto und sein Freund ziehen Händchen haltend weiter. Direkt zum nahegelegenen Modeladen, wo sie den Verkäuferinnen im Vorbeigehen ein »Hallo« zurufen. Für die Mode interessieren sie sich weniger. »Wir haben alles, was wir brauchen«, betont Otto. Nur etwas könnte es für seinen Geschmack noch öfters geben: ein Eis.
Der 69-Jährige nimmt die Sache in die Hand, stapft mit seinem Kumpel zur Eisdiele und bestellt zwei Mal eine Kugel - per Fingerzeig. Seine Lieblingssorte Nuss hätte es sein sollen, Schokolade bekommt er. »Schmeckt auch lecker«, findet er und schleckt genüsslich drauf los. Otto ist satt, Dad noch lange nicht. Weil dieser einen spendablen Freund hat, darf er sich auch noch über ein Stück Pflaumenkuchen freuen. Von Otto mundgerecht zerkleinert, ist es schnell verspeist. Und es geht weiter auf dem Einkaufsbummel, diesmal quer durch den Handwerker-Markt, vorbei an Blumentöpfen, Tischlampen und Holzstapeln.
»Montag muss Dad wieder arbeiten«, erzählt Otto, deutet auf das Regal mit den Schrauben hin und stupst seinem Freund in die Seite. »Nicht wahr, Dad?! Montag musst du wieder Schrauben sortieren.« Juchend stimmt der zu. Otto selbst ist Rentner, könnte theoretisch auch während der Woche in den Werre-Park fahren, tut das aber so gut wie nie.
»Dad muss mitkommen. Alleine habe ich keinen Spaß«, wehrt er ab, schaut auf die Armbanduhr und erschrickt. »Schon so spät! Wir müssen los!« Einmal haben die beiden schon die Abfahrt des Taxibusses vergessen, das soll ihnen jedoch kein zweites Mal passieren.
Damals mussten sie bis zum Omnibusbahnhof gehen. Das hat ihnen im Nachhinein jedoch so gut gefallen, dass sie es jetzt immer machen. Auch heute. Wenig später rollt der Taxibus vor, Otto zückt die Behindertenausweise, die Fahrer Ingo Radtke nur flüchtig überfliegt: »Die beiden kenn' ich doch.« Schmunzelnd lässt sich Otto auf die Rückbank fallen und ermuntert Dad: »So, von jetzt an freuen wir uns auf nächste Woche.«

Artikel vom 15.08.2005