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Zwischen Weltstars
und Ortsgruppen. . .

Radsport: Altkreisler geben im Rennzirkus Vollgas

Von Ingo Notz
Pr. Oldendorf/Lübbecke (WB). Samstag Mittag. Endlich Sonne - aber keine Zeit, das auszunutzen. Nicht das einzige Übel: Mist, mal wieder verfahren. . . 12:04 Uhr. Pr. Oldendorf. Ich bin am Ziel angekommen -Ɗgleichzeitig Start einer etwas anderen Tour. Zwischen der Tour de France und dem Start der Deutschland-Tour liegt ein Tour-Tag mit zwei heimischen Radgrößen vor mir: Sven Harter und Welf Düspohl haben zwei Radrennen und Begegnungen mit Weltstars vor sich - ich auch, vorsichtshalber aber doch nur als Beobachter. Na dann, auf geht's. . .
Die Luft ist längst nicht 'raus - der Pumpe sei Dank: Welf Düspohl macht den Renner startklar
Sven Harter schwingt sich hinter's Steuer, Welf nimmt als lebendes Navigationssystem auf dem Beifahrersitz Platz. Ich lausche im Fond den Erläuterungen zum ersten Ziel. »Das ist ein Rennen der höchsten Amateurklasse - bei Eschwege«, umreißt Sven Harter, noch auf den Oldendorfer Straßen unterwegs, das erste Ziel. Wieso Holland? »Weniger Staus und ich bin schneller da. Ich fahre viel da, weil der Ablauf und das Drumherum einfach professioneller sind. Es ist halt eine Radfahrernation, das ist schon immer so gewesen.« Immer so gewesen - das trifft auch auf die Leidenschaft Radsport bei Sven Harter zu. Wie lange er dabei ist? »Zu lange, wenn man meine Frau fragt. . . Ich bin über meinen Vater zum Radsport gekommen. Er hat mich dann auch in seinem letzten Steher-Rennen, da war er 38 und ich 18, noch geschlagen. Er hat gewonnen, ich war Dritter - und er hat mich überrundet. . . 1973 bin ich mein erstes Crossrennen gefahren.« Der Anfang einer großen Leidenschaft, die sich schon bald in ersten Renn-Erfolgen bemerkbar machte. Junioren-Nationalmannschaft, Amateur-Nationalmannschaft - der Weg zum Profi schien vorgezeichnet. »Dann wurde die Leistung aber wegen Job und Gesundheit weniger und ich flog aus dem Kader 'raus. . .« Nur ein Zwischentief, wie sich zeigen sollte. Fast nahtlos erfolgte der Übergang in den Steher-Kader, nachdem er die erste DM als Jüngster gleich als Siebter beendet hatte. Sieben Weltmeisterschaften als Steher, eine als Crosser - Erlebnisse, die nicht bezahlbar sind. Erst recht, wenn der Zimmerpartner Kult-Crosser Mike Kluge war. Die Wege haben sich bald getrennt: »Der eine Weltniveau, ich Ortsgruppenleiter. . .«, bilanziert Harter den Werdegang mit einem Lachen. . . Und doch können sich auch einige seiner Erfolge mehr als nur sehen lassen - nur mit dem Timing haperte es manchmal ein wenig: »1991 war ich Norddeutscher Meister, 1992 dann Dritter. Da hat ein gewisser Jan Ullrich gewonnen. Er war mein Nachfolger - leider nicht bei der Tour de France. . .«
Der erste Kontakt zu seinem Beifahrer, der gerade die nächste Autobahnauffahrt durchgibt, entstand bei der RTF des RSC Niedermehnen. »Da waren wir zusammen in der Topgruppe«, erinnert sich Welf, »bis Sven dann an der Kahlen Wart plötzlich umgedreht und weggefahren ist. . .« »Er wusste da aber nicht, dass ich mich gerade für die Deutschen Meisterschaften vorbereitete und schon zwei Rennen in den Beinen hatte. Da hatte ich richtig einen in der Mütze und war noch im Aufbau.«
Im Training fanden beide dann doch zusammen - und seither hilft der erfahrene Fuchs Harter dem aufstrebenden Youngster Welf, wo er nur kann. Vor allem jetzt, wo seine Bandscheibenvorfall-Pause aus dem Winter wieder vergessen ist . »Ich bin aber noch nicht wieder fit. Allerdings hätte ich damals auch nie gedacht, dass ich 2005 überhaupt wieder Rennen fahren könnte.«
12:52 Uhr - knappe 50 Minuten unterwegs. Vier Jahre on tour ist Welf mittlerweile, seither auch Mitglied im RC Olympia Bünde - damals mangels Radvereinen im Altkreis Lübbecke. »Das fehlt hier völlig«, ärgert sich auch Sven Harter, dass bis 2004 kein einziger Verein im Sükreis Radsport angeboten hat. Jetzt gibt es neben dem RSC Niedermehnen immerhin erste Aktivitäten in Fabbenstedt und Lübbecke. »Hier fehlt halt noch der ganze Unterbau - aber es fördert ja auch keiner. Es gibt schon gute Talente - die aber wahrscheinlich am PC sitzen, weil sie keiner erkennt.«
13.07 Uhr. Mentalitätsproblem. »Ich finden den fehlenden Respekt Erik Zabel und Jan Ullrich gegenüber grausam«, regt sich Sven auf, wenn er an die Kritik nach nicht gewonnen Tpouren denkt. »Ich höätte auch gerne mal so einen schlechten Tag wie die - dann würde ich Rennen gewinnen ohne Ende. . .«
13.13 Uhr: Helmpflicht? Nicht im Auto. Auf dem Rad? »Im Rennen selbstverständlich, aber ich bin damit nicht unbedingt aufgewachsen. Welfs Generation fährt damit von Kleinauf.« »Die Diskussion geht immer weiter«, meint Welf, »Ullrich trägt im Training nie einen.«
13.15 Uhr: Rennradfahrer im Straßenverkehr und die Autofahrer - ein Kapitel für sich. . . Was man da erlebt, »da ist meine ganze pädagogische Ausbildung schnell dahin«, gibt Sven zu. »Es gibt Autofahrer, die nur Recht haben wollen - ohne Rücksicht auf die Gesundheit. Da erlebst Du haarsträubende Geschichten!« Hauptärgernis: Rennradfahrer und Radwege. . . »Paragraph vier, Absatz zwei der Strßaneverkehrsordnung sagt, dass Radwege nur bis 25km/h zugelassen sind. Da fahre ich auch platt und bei Gegenwind noch schneller - und viele Autofahrer unterschätzen das!« Gut zu wissen, wenn man das nächste Mal vom Freund und Helfer im rüden Ton von der Straße geholt werden sollte.  . .  Noch 27 Kilometer bis Hengelo.
13.35: Willkommen in den Niederlanden. 13:47 Uhr: Wieder verfahren. Bei Eddis Snackbar gibt's schließlich die Startnummern. . . Sven sieht schwarz: »Ich habe dicke Beine - vom Nicht-Trainieren im Urlaub. Ein Tag ohne und es fehlt was. Von daher kann ich Winokourows Einbruch bei der Tour de France auch gut verstehen.« 14:03: Acht Bar auf die Reifen - und ab geht's zum Training. 15 Uhr: Start zum 60-Kilometer-Rennen. Durch den Lautsprecher plärrt Wolfgang Petrys »Augen zu und durch«. Welf hält lange den vierten Platz, muss am Ende aber doch abreißen lassen, wird Neunter. »Im Spurt war ich platt.« Sven Harter rollt am Ende vom Ende nach vorne - Rang 16. Trotz 44er Schnitt. »Das sind Hochgeschwindigkeitsrennen hier«. Ausrollen, schnell duschen, Preise abholen - und ab geht's zum zweiten Etappenort der deutsch-niederländischen Rundfahrt. . . Unna wartet - die große Radnacht mit Weltklasse-Besetzung. Sven Harter soll dort als Derny-Schrittmacher für Bahn-Europameisterin Charlotte Becker starten. Trefftermin? »In zwei Minuten. . .« Das wird eng. Hollands Tour-Fossil Bart Voskamp fährt an uns vorbei - wir eilen zurück in die Gegenwart. Sven hat schließlich beim Heimrennen seines Vereins RSV Unna etwas zu verteidigen. 2003 und 2004 hatte er mit der neuen Europameisterin Becker auf dem Altstadtkurs triumphiert. »Das dritte Mal wird aber schwer! Wenn Lotti mal ihren EM-Titel nicht zu sehr gefeiert hat. . .«
17:29 Uhr: Die Heimat hat uns zurück. Der Tacho rast. 25000 pro Jahr nur für Radrennen. 18:01 Uhr: Kleine Derny-Kunde: »Beim Steher-Rennen ist es sinnvoll, alleine zu fahren, beim Derny ist es besser in der Gruppe mitzurollen. Die Windverwehungen sind sonst der Wahnsinn.«
18:50 Uhr: Unna! Wir eilen zur Rennstrecke. Sven klatscht Bekannte ab - und einer davon entpuppt sich als, unfassbar, Erik Zabel! Wahnsinn! Ein Held! Ich gucke nach unten: Tatsächlich, er steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Wow. Kurzer Small-Talk. Weiter geht's, sind spät dran. Anmeldung im Hotel. Mir wird schwindelig: Giro-Star Fabian Wegmann kommt durch die Lobby, in der Couch sitzen Erik Zabel (der schon wieder. . .) und Andreas Kappes. Im ganzen Trubel verliere ich Sven und Welf aus den Augen - zurück zum Treffpunkt der Derny-Teams. Gerolsteiner-Sprintstar Robert Förster fährt mich am Parkhaus fast über den Haufen - wie war das mit Radfahrern auf Bürgersteigen? Okay, hier und heute ist alles anders, klar. Er grinst nett, ich murmele »Sorry« - und weg isser. . .
19.50 Uhr: Ich treffe Charlotte Becker und Sven. Schnell ein Foto. »Nachher kennt sie mich nicht mehr. . .«, grinst Sven. »Stimmt doch gar nicht«, lacht Charlotte - ob sie sich in dem Trubel wohl meine Telefonnummer merken kann? Es wird hektisch. Locker 500 Meter Fußweg zum Start-Ziel-Bereich - die beste Stelle für Action-Fotos. 20:05 Uhr. Die Derny-Ladies und ihrer Anfahrer werden einzeln vorgestellt. Professionell. Tolle Show vor 30000 Radsportfans in Zabel-Town. . . Der Start: Das Duo Becker/Harter hängt am Ende des Feldes. 20 Runden á 1,15km kommen noch. Runde acht: Becker/Harter immer noch Drittletzte. Runde 16: Fast unverändertes Bild. Runde 17: Plötzlich knattern Becker/Harter als Vierte des Führungsquartetts über die Ziellinie. Runde 18: Platz zwei. Runde 19: Platz zwei - fast gleichauf mit der Weltmeisterin. Tollkühner Endspurt: Harter und Becker geben alles - es reicht nicht ganz. Trotzdem, bei dem überragenden Feld im einzigen Derny-Damen-Rennen Deutschlands Platz zwei: »Richtig geil bei den Zuschauern!«, lacht Sven - und klatscht schnell noch ein paar jubelnde Fans ab. Trotz Bandscheibe krabbelt er auf den Lastwagen: Siegerehrung. . . Ein Fan freut sich »bierisch« - der kriegt einen Schluck vom Siegerpils. . . Die Faszination Derny-Rennen - so nah dran hat sie auch mich erfasst. Auf dem Rad muss es noch cooler sein: »Hier machen die Frauen, was ich sage«, grinst Sven über die Chefpostenverteilung - und erklärt: »Im Prinzip ist es Teamwork: Ich der Kopf, sie die Beine!« Eine fast unschlagbare Kombination. . .
Jetzt kommt die Zugabe. Wir gönnen uns noch das Hauptevent des Abends, das große Profi-Rennen mit Zabel, Wegmann, Kappes, Grabsch, McEwen, Heppner und anderen Stars. Tolle Show. Zabel gewinnt wenige Zentimeter vor Wegmann. Es ist 23:27 Uhr: Die Helden sind gerade im Ziel, bei Sven kommt wieder der Rennfahrer durch: »Lass uns fahren - lieber eher weg und dafür schnell weg. . .« 1:03 Uhr: Zurück in Pr. Oldendorf - ohne uns zu verfahren. . .

Artikel vom 16.08.2005