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Jugendtag
verbindet die
Generationen

Zu Gast bei Lucia Beine (80) in Dössel

Von Carsten Reinhardt
Dössel (WB). Der Weltjugendtag 2005 sorgt im Warburger Land auch für eher ungewöhnliche Begegnungen. Für die etwa von Ivana Agatic (16) und Sanja Dominkovic (17) mit Lucia Beine (80) in Dössel: Die alleinstehende Seniorin ist bis zum heutigen Montag Gastgeberin für die zwei Jugendtagsbesucherinnen aus Bosnien-Herzegowina. Der Altersunterschied - kein Problem. Im Gegenteil: Die drei verstehen sich prächtig.

»Frau Beine ist total nett«, sagte Ivana am Samstag dem WESTFALEN-BLATT. »Danke, Ihr beide seid es auch«, erwiderte Lucia Beine das Kompliment. Gestern servierte sie den jungen Frauen ein Festessen - gute deutsche Küche nach alten Rezepten. »Die beiden hätten gern mitgekocht, aber bis ich ihnen das alles erklärt hätte, wäre ich schon längst fertig gewesen«, sagte die Dösselerin mit einem Lächeln und einem Lob für ihre Gäste: »Die beiden Mädchen sind sehr hilfsbereit, ich habe sie sofort in mein Herz geschlossen.«
Am Donnerstag haben sie sich kennengelernt, ein erster Plausch bei Kaffee und Kuchen, ein gemeinsames Abendessen - doch nach 30 Stunden Fahrt waren die Gäste, die sehr gut Deutsch sprechen, natürlich sehr müde. Freitag folgte der Aktionstag in Paderborn. So hatten Lucia Beine, Ivana und Sanja erst am Samstag so richtig Gelegenheit, mehr voneinander zu erfahren und gemeinsam etwas zu unternehmen. Am Nachmittag schaute Lucia Beine den Besucherinnen beim Bauen von Nistkästen und dem Erstellen großer Collagen über die Schulter. »Gegen Abend habe ich Ivana und Sanja dann ins Auto gepackt, damit sie auch die schöne Stadt Warburg und das Kälkenfest einmal sehen«, erzählt sie, »aber auf dem Altstadtmarkt habe ich sie dann natürlich zum Feiern mit ihren Altersgenossen allein gelassen, einen Schlüssel hatten sie ja.«
Die agile Seniorin hatte im Januar erfahren, dass in ihrer Gemeinde noch Gasteltern für die ausländischen Gäste gesucht werden. »Da habe ich mich spontan entschlossen, auch welche aufzunehmen«, erinnert sich Lucia Beine, »Umgang mit jungen Menschen bin ich gewohnt, Platz habe ich auch genug, warum also nicht?« Ihre einzige Bitte, weil sie kein Englisch spricht: möglichst Besucher, mit denen sie sich in deutscher Sprache verständigen kann.
Als Lucia Beine so alt war wie Ivana und Sanja heute, tobte der Zweite Weltkrieg. Dass ihre 16 und 17 Jahre alten Gäste heute so gut Deutsch sprechen, hat ebenfalls mit kriegerischen Auseinandersetzungen zu tun. Beide habe Mitte der neunziger Jahre während des Balkan-Konfliktes als Flüchtlinge eine Weile in Deutschland gelebt und die Grundschule besucht. Krieg - auch eine Erfahrung, die Lucia Beine, Sanja und Ivana miteinander teilen.
Ivana war sechs Jahre alt, als sie nach Deutschland kam. Sie wohnte damals zwei Jahre in Pforzheim. Sanja war vier, sie und ihre Familie blieben sechs Jahre in Bad Reichenhall. »Als ich 1998 in meine Heimatstadt Vidovice zurückkam, war dort noch vieles zerstört«, erzählte Sanja ihrer Gastgeberin, »inzwischen ist vieles neu gebaut worden«. Es sei vor diesem Hintergrund ein schöner Aspekt des Weltjugendtages, dass alle in Frieden kommen, meinte Ivana. »Ich werde mir alles im Fernsehen anschauen«, versprach ihnen die Dösselerin.
Am Ende blieb Zeit dafür, dass Lucia Beine ihren Gästen noch einen Wunsch erfüllte. Sie öffnete ihre alten Fotoalben, weil Sanja und Ivana Bilder von früher sehen wollten. Ausdrucke und CDs mit Bildern von diesem Wochenende werden sie im Gepäck mitnehmen, wenn es heute nach Köln weitergeht - Andenken an vier schöne Tage und eine Gastgeberin, die mit 80 noch sehr jung geblieben ist.
Weitere Berichte zum Weltjugendtag auf den Seiten 4 und 5

Artikel vom 15.08.2005