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Einmaliges Experiment

TuS Volmerdingsen hat integrative Fußballmannschaft gegründet

Bad Oeynhausen-Volmerdingsen (AM). In der neuen Fußballsaison hat der TuS Volmerdingsen wieder eine dritte Mannschaft. Sie ist ganz neu, in der Kreisliga einmalig und auch bundesweit außergewöhnlich. Noch gibt es nämlich nur ganz vereinzelt integrative Fußballmannschaften, in denen Männer mit und ohne Behinderungen gemeinsam und gleichberechtigt im regulären Spielbetrieb den Kampf um Tore und Punkte aufnehmen.

Diese neue Mannschaft wird in der Kreisliga C-2 als TuS Volmerdingsen III an den Start gehen. Rund zwei Drittel der Mannschaftsmitglieder im Alter zwischen 18 und 36 Jahren nehmen Betreuungsangebote der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Anspruch. Die übrigen Spieler kommen aus Volmerdingsen oder der Umgebung. Manche, aber nicht alle, arbeiten im Wittekindshof. Alle gemeinsam haben sich vorgenommen, die Saison zu schaffen, zweimal in der Woche zu trainieren und am Wochenende die Punktspiele zu bestreiten.
»Wir haben keine Ambitionen, aber vielleicht gelingt es uns ja den Fairness-Pokal nach Volmerdingsen zu holen«, erklärte Lars Gehrmann vom Wittekindshof auf der Arbeitstagung des Fußballkreises Minden in der Hartumer »Buschklause«. Für Spieler mit geistiger oder Lernbehinderung sind komplizierte Abseitsregeln und die Unterschiede zwischen einem direkten und einem indirekten Freistoß schwierig. Deswegen gibt es neben dem Training einmal in der Woche theoretischen Fußball-Unterricht. »Die Spieler aus dem Wittekindshof müssen am Anfang viel Neues lernen, weil in der OWL-Liga des Behindertensportverbandes, in der viele bislang gespielt haben, vereinfachte Regeln gelten«, sagte Lothar Kassebaum, der hauptberuflich im Wittekindshofer Freizeitwerk arbeitet, die Mannschaft als Spielertrainer betreuen wird und auf dem Platz eine Art ordnende Hand sein soll. »Dort kochte bislang immer seine eigene Suppe«, berichtet Gehrmann.
Die Spieler müssen sich außerdem daran gewöhnen, dass es keine fliegenden Wechsel mehr gibt, sondern in jedem Spiel nur noch dreimal ausgewechselt werden kann. Des Weiteren wird nicht zehn oder 15 Minuten auf dem Kleinfeld gespielt, sondern es werden zwei reguläre Halbzeiten je 45 Minuten auf dem großen Platz absolviert. Zumindest grob wussten die Wittekindshofer Fußballer, was in der Kreisliga C auf sie zukommt. »Trotzdem sind sie noch ganz heiß darauf, im Verein und in der richtigen Liga zu spielen«, berichtet Lothar Kassebaum.
Ein Schwerpunkt im Unterricht, aber auch beim Training wird das angemessene Verhalten gegenüber dem Schiedsrichter und den übrigen Spielern sein: »Alle wissen, dass eine Schiedsrichterbeleidigung teuer sein kann und dass Wutausbrüche mit empfindlichen Sperren bestraft werden«, so Lothar Kassebaum. »Aber diesen jungen Männern fällt es auch auf Grund ihrer Behinderung manchmal besonders schwer, nicht zu explodieren, wenn sie sich ärgern.« Als Spielertrainer kann Kassebaum auch im Spiel auf die Mannschaft Einfluss nehmen. Aber er sieht seine Hauptaufgabe nicht nur im Schlichten und Beruhigen, sondern vor allem auch im Ordnen, wenn einer vergessen hat, auf die vereinbarte Position zurück zu kehren.
Die Frage, wie sich Menschen mit Behinderungen beim Spiel und auf dem Platz gerade bei Niederlagen und Enttäuschungen verhalten, war der entscheidende Punkt, weswegen die Verantwortlichen des TuS Volmerdingsen die Idee der integrativen Mannschaft zunächst in Ruhe bedenken mussten. Vereinzelt haben auch in der Vergangenheit Spieler aus dem Wittekindshof bei »Volmsen« oder anderen Clubs mitgespielt, aber eine integrative Mannschaft gab es in der Region noch nie. Der TuS-Vorstand informierte und beriet sich daher mit dem FLVW-Kreisvorstand.
Außerdem vergewisserte man sich bei FLVW-Präsident Hermann Korfmacher, ob etwas gegen ein solches Team in der Kreisliga spreche.
Weil der TuS hier überall grünes Licht erhalten hat, hat er sich auf das »Experiment«, wie Geschäftsführer Thomas Beinke die neue dritte Mannschaft nennt, eingelassen: »Wir beobachten, wie es läuft, aber stehen der ganzen Sache ebenso wie der Kreisvorstand positiv gegenüber.«
Auch wenn der Kader der »Volmser« Drittvertretung mit 32 Spielern recht groß ist, würde sich Lothar Kassebaum über Neuzugänge freuen. Und noch eine Besonderheit zeichnet das neue Team aus: Drei Spieler gehören dem erweiterten Kader der Nationalmannschaft des Deutschen Behindertensportverbandes an und bereiten sich auf die »WM 2006 der Menschen mit Behinderungen« vor, die drei Monate nach der FIFA-WM in Deutschland ausgetragen wird.
Die Tatsache, dass Ramon Horrocks, Dominik Kornmann und Kai Thiele jetzt auch Vereinsspieler sind, erhöht ihre Chancen, dass sie am Ende für Deutschland bei der WM auf dem Feld stehen und die Nationalhymne hören.
Für die gegnerischen Mannschaften in der C-2-Liga werden vor dem Spiel kleine Handzettel vereilt werden.

Artikel vom 10.08.2005