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In der Heimat der Vorfahren

Aaron Jacob Wilbee und Großmutter besuchen Verwandte in Espelkamp

Von Stefanie Westing
Espelkamp (WB). Viele Jugendliche legen sich in ihren Ferien gerne an den Strand oder verbringen die Zeit mit Freunden. Nicht so Aaron Jacob Wilbee. Der 16-jährige US-Amerikaner ist unterwegs, um seine Familie besser kennen zu lernen. Dazu verbringt er einen großen Teil seines Urlaubs gemeinsam mit der Großmutter bei seiner Großtante Linde Nabrotzky in Espelkamp.

Aus Colorado ist Aaron mit seiner Oma Edelgard Nabrotzky, die in Kanada lebt, Anfang Juli nach Deutschland geflogen. Jetzt müssen die Koffer bald schon wieder gepackt werden, denn Ende der Woche geht es für Aaron zurück in die Heimat südlich der Stadt Denver. Und die Großmutter fliegt ebenfalls nach Hause.
»Ich wurde in Ostpreußen geboren und habe später eine Weile in Ellershausen bei Hannoversch Münden gelebt. Nach dem Krieg, als ich elf Jahre alt war, bin ich mit meinen Eltern ausgewandert«, erinnert sich Edelgard Nabrotzky. Ihren Ehemann, ebenfalls gebürtig aus Deutschland, lernte sie in Kanada kennen. Er war, genau wie seine Brüder, auch ausgewandert. »Innerhalb von drei Jahren hat es meine drei Brüder nach Kanada gezogen«, schildert Linde Nabrotzky, die Schwester des bereits verstorbenen Ehemannes von Edelgard Nabrotzky. »Nach dem Krieg war die wirtschaftliche Situation in Deutschland schlecht, und für Kanada wurde viel geworben. Da haben sich meine Brüder zu diesem Schritt entschieden.« Auch die Espelkamperin hat eine Weile in Kanada gelebt, um die Brüder kennen zu lernen. Dann wurde die Sehnsucht nach Deutschland aber doch zu groß, und sie kam zurück.
Heute kann Linde Nabrotzky in ihrem Zuhause am Espelkamper Baltenweg häufiger Verwandtschaft aus Übersee begrüßen. Aarons älterer Bruder zum Beispiel war vor drei Jahren schon einmal zu Besuch.
Der 16-Jährige aber ist zum ersten Mal in Deutschland. Seit einiger Zeit lernt er die Sprache in der High School. Zur Wahl standen neben Deutsch auch die Fächer Spanisch, Französisch und Latein. »Aber ich habe mich für die Sprache meiner Vorfahren entschieden«, sagt Aaron. Natürlich kann er stets auf die Hilfe der Großmutter zählen, wenn er Fragen hat. Denn ihr Deutsch ist nach wie vor einwandfrei. »Irgendwann habe ich meine Oma - sie ist die Mutter meiner Mutter - angerufen, um sie etwas wegen eines Aufsatzes zu fragen. Da hat sie gesagt: Ich fliege bald nach Deutschland. Komm doch einfach mit«, erzählt der 16-Jährige. Gesagt, getan.
Um Kontakt zu Gleichaltrigen zu bekommen und seine Sprachkenntnisse zu verbessern, hat Aaron an einigen Ferienspiel-Aktionen teilgenommen, war unter anderem beim Klettern der CVJM am Martinshaus dabei und hat eine Paddeltour mitgemacht. Die Verständigung war manchmal etwas schwierig, und im Notfall wurden halt auch die Hände und Füße benutzt. Doch nicht die ganze Zeit haben Aaron und seine Oma in Espelkamp verbracht. Neben einigen Ausflügen in die nähere Umgebung, unter anderem zum Mittellandkanal, ging es auch ins europäische Ausland und zu einem anderen Verwandten nach Dortmund. »Das sind hier alles überhaupt keine Entfernung innerhalb von Europa«, haben die beiden Besucher aus Übersee festgestellt. »Bei uns in Kanada kann man tagelang mit dem Auto fahren, und man sieht nicht einmal ein Haus«, ergänzt die Großmutter.
Am besten gefällt dem Jugendlichen, der später einmal etwas mit Mathematik oder Software-Entwicklung machen möchte - immerhin arbeitet sein Vater für den Weltkonzern Microsoft -, dass er hier so Vieles mit dem Fahrrad erledigen kann. »Bei uns ginge das nicht, das wäre viel zu gefährlich.« Und zu weit - mit dem Bus braucht er zum Beispiel 20 Minuten, um zur Schule zu kommen. Allerdings kommen dem 16-Jährigen die Espelkamper Straßen doch ein wenig merkwürdig vor: »Die sind so eng. Wir dachten zuerst, das wären alles Einbahnstraßen.«

Artikel vom 10.08.2005