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Bärte und
Perücken aus
Meisterhand

Serie über Freilichtbühne Nettelstedt

Von Sonja Gruhn
Nettelstedt (WB). Kleider machen bekanntlich Leute - und so trägt die gelungene Kostümauswahl sicher viel zum Gelingen der Aufführungen auf der Freilichtbühne Nettelstedt bei. Doch ohne zotteligen Bart und Perücke würde beispielsweise Jörg Röding in seiner Rolle als Räuber Hotzenplotz nicht so »räuberisch« wirken.

Und ohne Hakennase und furchterregend geschminktes Gesicht könnte Volker Kracht als Zauberer Petrosilius Zwackelmann glatt als netter Wichtel durchgehen. Die richtige Maske ist ein weiterer wichtiger Baustein, der dazu beiträgt, dass der Zuschauer während des Spiels den dargestellten Charakter als tatsächlich existent wahrnimmt. Erst wenn die Person des Schauspielers hinter der Maske und dem Spiel »verschwindet«, kann das Publikum richtig in die Geschichte eintauchen.
In den Anfängen der Nettelstedter Bühne schminkten sich die Darsteller gegenseitig, meist auf einer Bank hinter der Bühne. »Alles war provisorisch, aber sicher nicht schlechter als heute«, betont Friseurmeister Bernd Hagemeier. »Die Akteure haben aus den vorhandenen Möglichkeiten gemacht, was zu machen war.«
Der Friseurmeister selbst ist 1984 zu der Spielgemeinde gestoßen. »Nach dem Krieg hatte bereits mein Vater Fritz Hagemeier hier einige Jahre bei der Maske geholfen. Damals fertigte er noch selbst die Bärte und Perücken.« 1984 war Bernd Hagemeier gebeten worden, bei der Beschaffung von Rokokoperücken für das Stück »Die Schlacht bei Minden« behilflich zu sein. Das war der Anfang. Denn seither ist auch dieser Bereich immer professioneller geworden. Zwar wurde bei »Piroschka« im Jahr 1985 noch im Flur vor den Garderoben geschminkt, doch inzwischen gibt es einen eigenen Raum hierfür.
Eine ausgediente große Frisierkommode aus dunklem Holz mit Marmorplatte und eingelassenem Waschbecken bildet das Herzstück und verleiht dem Raum einen besonderen Charme. »Dieses Einrichtungselement war einer Renovierung zum Opfer gefallen und sollte eigentlich auf die Deponie. Ein Kollege hatte angefragt, ob wir Interesse daran haben. So haben wir kurzerhand einen Lastwagen organisiert und das schon antiquarische Stück auf den Hünenbrink geholt.«
An den Wänden findet man Regale und Schränke mit Perücken, Haarteilen und nicht mehr benötigte Kosmetikständer aus den Filialen mit Schminkutensilien aller Art. Hier herrscht Theateratmosphäre pur. Schon während der Proben wird gemeinsam mit dem Regisseur festgelegt, wer wie geschminkt werden soll. Bei Bedarf werden Haarteile und Perücken angefertigt. Damit es vor der Vorstellung keine Pannen gibt und der Zeitaufwand gering gehalten wird, hat Bernd Hagemeier für jede Rolle einen kleinen Kasten in der das individuelle Make-up für die Saison aufbewahrt wird. Für die männlichen Rollen sind es meist vier bis fünf verschiedene Utensilien, für die weiblichen Rollen oft acht bis zehn Teile. Je nach Rolle kann dies auch variieren. Grundierung, Lippenstift, Rouge, Lidschatten, Mastix und Puder sind meist die Hauptbestandteile. »Wenn möglich, versuchen wir die Frisuren mit den eigenen Haaren hinzubekommen. Doch gerade bei den Kinderstücken ist dies oft schwierig. Da geht es meist gar nicht ohne Perücke.«
Das interessanteste Projekt in jüngerer Zeit war für das Stück »Die kleine Hexe« auf die Beine gestellt worden. »Das war wirklich eine Herausforderung.« Hier sollten die verschiedenen »Hexentypen«, beispielsweise Wetter-, Knusper- oder Waldhexe, schon an ihren Frisuren zu erkennen sein. Diese Aufgabe hatte Bernd Hagemeier an seine Angestellten verteilt, die viel Spaß daran gehabt hätten und wahre Wunderwerke herausgearbeitet haben. Ein Knusperhäuschen auf dem Kopf der Knusperhexe, Blitze für die Wetterhexe und Blätter für die Waldhexe wurden fantasievoll eingearbeitet. Diese Perücken existieren heute noch - allerdings sicher verwahrt.
Auch für das Stück »Die deutschen Kleinstädter« waren aufwändige Perücken angefertigt worden. Davon sind jedoch nur wenige im Fundus. »Die, die mehrere Haarteile enthalten, haben wir sozusagen wieder zerstört.« So liegen sie sorgfältig verwahrt in den Schränken und warten auf ihren nächsten Einsatz.

Artikel vom 09.08.2005