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Prunkvolle Villa musste dem Rathaus-Neubau weichen

Von Delius erbaut und von Westerfrölke gekauft

Von Heiko Johanning
Versmold (WB). Viele historisch bedeutsame Gebäude sind aus dem Versmolder Stadtbild verschwunden. In seiner Serie »Versmold im Wandel der Zeit« erinnert der VERSMOLDER ANZEIGER an die Häuser, die einst das Bild der Stadt prägten - wie die Westerfrölkesche Villa. Das Haus, das die Familie Delius hatte bauen lassen, stand dort, wo heute das Rathaus seinen Platz hat.

Die Villa des Mitinhabers der bedeutenden Versmolder Segeltuchfabrik, Everhard Delius (1848-1907) bot einen stattlichen Anblick. Der Sohn des Firmengründers Conrad Wilhelm Delius hatte das imposante Gebäude 1899, also vor 106 Jahren, von dem damals sehr bekannten Architekten Reyscher aus Bielefeld mit Hilfe Versmolder Bauleute erbauen lassen.
Die Villa hatte mehrere Zimmer und einen großen Garten, der sich vor allem hinter dem Haus parkähnlich erstreckte - nicht einzusehen von der Straße aus. Ein hoher Zaun schützte das Anwesen vor neugierigen Blicken und Besuchern.
1927 kam das wirtschaftliche Ende für die Familie Delius -ĂŠkurz vor dem 100-jährigen Geschäftsjubiläum. Die Gesamtforderungen der Lieferanten beliefen sich auf fast 650 000 Reichsmark. In Versmold wurde die Produktion eingestellt. Segeltuch wollten zu jener Zeit weder Werften noch Reedereien mehr haben.
Im November 1927 musste im Zuge eines Vergleichsantrages die Villa von Everhard Delius veräußert werden. Doch das Unternehmen sprang noch einmal von der Schüppe. Erst 1955 erlosch die Firma und 1959 wurde der Schornstein gesprengt, der die Versmolder Silhouette fast 100 Jahre geprägt hatte. Das prächtige Haus an der heutigen Münsterstraße erwarb 1927 der Ziegeleibesitzer Westerfrölke aus Loxten. Im Versmolder Volksmund heißt deshalb dieses große Haus, obwohl es längst nicht mehr steht, auch heute noch »Villa Westerfrölke«.
Was Anfang des 18. Jahrhunderts von Wohlstand in Versmold zeugte, nämlich die Villen der Delius-Familie, wurde Mitte der 60-er Jahre zunichte gemacht. Versmold brauchte ein neues Rathaus. Es sollte an der Münsterstraße entstehen - auf dem Gelände der Everhard-Delius-Villa, oder besser, der Westerfrölkeschen Villa. Die historische Bausubstanz wurde kurzerhand abgerissen, dem Erdboden gleich gemacht und ein Neubau für die Versmolder Stadtverwaltung errichtet. Eine Bausünde, die viele Versmolder in den Folgejahren bedauerten, die jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Im nächsten Teil der Serie: das Haus der Witwe Oppermann.

Artikel vom 09.08.2005