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Jetzt vier Sorgerechtsverfahren

Schulverweigerer kämpfen weiter - Stadtjugendamt will durchgreifen

Von Andrea Pistorius
Paderborn (WV). Stadtjugendamt und Familiengericht bemühen sich weiterhin intensiv, mit den baptistischen Elternpaaren, die sich weigern, ihre Sprößlinge zur Schule zu schicken, eine am Kindeswohl orientierte Lösung zu finden. Nicht auszuschließen ist, dass die betroffenen Familien rechtzeitig vor Schulbeginn ihre Kinder ins Ausland verbringen.

Zugespitzt hat sich das monatelange Ringen von Behörden und Eltern Ende Juli, als das Familiengericht zwei Paderborner Elternpaaren teilweise das Sorgerecht entzog (das WV berichtete): Dem Stadtjugendamt wurde in diesem Verfahren das Aufenthaltsbestimmungsrecht für vier Kinder sowie die Verpflichtung übertragen, für einen ordnungsgemäßen Schulbesuch zu sorgen.
Bei den betroffenen Kindern handelt es sich um zwei Sechsjährige, die am 22. August in den Anfänger-Jahrgang der Grundschulen Josef in Schloß Neuhaus und Thune in Sennelager aufgenommen werden sollen. Ihre Geschwister sind zehn Jahre alt und stehen vor einem Wechsel in eine weiterführende Schule, die noch nicht bestimmt ist.
»Wir werden in diesen Tagen die Eltern schriftlich auffordern, ihre Kinder nach den Ferien zur Schule zu schicken«, teilte der Paderborner Jugend- und Schuldezernent Wolfgang Walter auf Anfrage mit. Außerdem stehe das Jugendamt bereit, mit den Eltern zu klären, ob ihre älteren Kinder die vierte Klasse wiederholen sollten, da sie einen Großteil des Unterrichts verpasst haben, oder ob eine - und wenn ja welche - weiterführende Schule in Frage komme. »Ich bin pessimistisch«, sagt Walter nach monatelangen Verhandlungen mit den Eltern, »eine friedliche Einigung halte ich inzwischen für unwahrscheinlich«.
Sollten die Familien nicht reagieren, wird der Dezernent den 22. August abwarten und sich in den zuständigen Grundschulen erkundigen, ob die vier Kinder erschienen sind. Im negativen Fall kündigt das Jugendamt für die Folgetage Hausbesuche an. Städtische Sozialarbeiter werden die Schüler zum Unterricht abholen und ihren gerichtlich festgesetzten Auftrag notfalls auch mit Hilfe der Polizei durchsetzen.
Die letzte Konsequenz im Streit zwischen Behörden und Eltern wäre der komplette Entzug des Sorgerechts und damit die Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien oder Heimen. In einer mündlichen Anhörung wird das Familiengericht voraussichtlich noch in dieser Woche die Haltung der beiden Elternpaare zum Schulbesuch überprüfen und dann über das Sorgerecht neu entscheiden. Das teilte der Vizepräsident des Paderborner Landgerichts, Wolf-Dietrich Frank, mit.
In zwei weiteren Fällen, so Frank weiter, werde das Sorgerechtsverfahren durch Befangenheits- und Beschwerdeanträge der Eltern verzögert. Eine Entscheidung soll aber bis zum Schulbeginn vorliegen. Außerdem sind bei Amtsgericht und Staatsanwaltschaft mehrere Bußgeld- und Erzwingungshaftverfahren gegen Mütter und Väter anhängig. Insgesamt sind sieben strenggläubige baptistische Elternpaare aus den Kreisen Paderborn und Höxter betroffen, die sich seit einem Jahr weigern, ihre 16 Kinder aus religiösen Gründen zu einer staatlichen Schule zu schicken.

Artikel vom 03.08.2005