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»Vom Niveau
her unterste
Schublade«

Wegen »Enkeltricks« verurteilt

Von Stefanie Westing
Espelkamp/Rahden (WB). Sein Plan war gut durchdacht und raffiniert eingefädelt, doch vom Niveau her »unterste Schublade«: Dieses Resümee zog die Vorsitzende Richterin, als das Schöffengericht in Minden gestern einen 34-jährigen Rahdener wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilte.

Der Staatsanwalt hatte drei Jahre Haft gefordert, der Verteidiger beantragte einen Freispruch. Das Gericht sah es jedoch als erwiesen an, dass der Mann im vergangenen Jahr in Espelkamp eine Form des »Enkeltricks« angewandt und einen 87-Jährigen um mehr als 50 000 Euro betrogen hatte, indem er dem alten Mann versprach, er und seine im Pflegeheim lebende Frau könnten eine noch zu bauende Wohnung auf seinem Anwesen beziehen (wir berichteten zuletzt am 7. Juli). Der Rahdener machte dem Rentner klar, dass er dafür - vorübergehend - Geld zur Verfügung stellen müsse, weil er selbst eine Erbschaft aus Amerika erwarte und die Zeit bis zum Eintreffen derselben überbrückt werden müsse. Die beiden Männer schlossen »Darlehnsverträge« ab, die aber weder konkrete Rückzahlungsmodalitäten enthielten, noch irgendetwas über Zinsen, das Wohnrecht des alten Ehepaars oder eine etwaige Pflege aussagten. Mit dem Tod des älteren Herrn sollte die Verpflichtung zur Rückzahlung erlöschen. Die Sache war aufgeflogen, als Bankmitarbeiter stutzig wurden und die Polizei benachrichtigten.
Der Angeklagte äußerte sich während der insgesamt drei Prozesstage nicht zu den Vorwürfen. Der Betrogene konnte nichts mehr sagen - er hatte sich im vergangenen Juni eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und sich das Leben genommen. »Dieser Freitod ist nicht unmittelbar auf die Handlungsweise des Angeklagten zurückzuführen, aber die Geschehnisse werden wohl eine Rolle gespielt haben«, meinte die Vorsitzende Richterin.
Sie ging davon aus, dass die 50 000 Euro tatsächlich in das Bauvorhaben geflossen waren - allerdings glaubte sie nicht, dass der Angeklagte den 87-Jährigen und seine Ehefrau auch wirklich dort wohnen lassen wollte. Zwar hatte der 34-Jährige den Rentner mit zur Baustelle genommen. »Sonst wäre ja auch kein Geld mehr geflossen«, argumentierte die Richterin. Tatsächlich stoppte der Bau nach dem Tod des Rentners. Außerdem sei in der Familie des Angeklagten keine Qualifikation für eine Pflege vorhanden, obwohl die Ehefrau des 87-Jährigen, die ja mit einziehen wollte, pflegebedürftig ist.
Die »Darlehnsverträge« seien dagegen ein deutliches Indiz dafür, worum es dem 34-Jährigen, bereits wegen Betruges Verurteilten, ging: »Die Verträge sagen: Gib mir bitte dein ganzes Geld, und zwar ohne Gegenleistung.« Wenn der Angeklagte so redlich gewesen wäre, wie sein Verteidiger es habe darstellen wollen, hätte man einen Notar aufgesucht, das Geld hätte nicht bar und heimlich ausgehändigt werden müssen, und zur Eile hätte keine Veranlassung bestanden, sagte die Richterin. »Der Angeklagte hatte die Absicht, in den Genuss des Geldes zu kommen, aber die in Aussicht gestellte Gegenleistung nicht zu erbringen.« Der 34-Jährige habe die Arglosigkeit des alten Mannes ausgenutzt, der immer wieder Zeugen gegenüber beteuert hatte, wie unglücklich er war, weil sich seine Frau im Pflegeheim befand.

Artikel vom 28.07.2005