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Postkarte erzählt Geschichte

»Gruss aus Pr. Oldendorf« - Interessante Bildmotive aus der Zeit um 1900

Von Dieter Besserer
Pr. Oldendorf (WB). Alte Bildpostkarten besitzen einen besonderen Reiz. Sie stellen mit ihren heute hochwillkommenen historischen Bildmotiven die Sehenswürdigkeiten einer längst vergangenen Zeit dar. »Gruss aus Pr. Oldendorf« ist der Titel einer lithografierten Bildpostkarte aus der Zeit vor 100 Jahren aus dem noch heute wohlbekannten Verlag »F. Kiel, Buchbinderei, Papier u. Schreibwarenhandlung Pr. Oldendorf« als Auftraggeber.

Hergestellt hatte die Postkarte ein bekannter Verlag aus Herford nach der Inschrift »Lith. Hans Seyler & Hüsemann Herford«. Wahre Bilderschätze und aus heutiger Sicht seltene Fotoaufnahmen aus der Zeit um 1900 muss es bei diesem nicht mehr existierenden Verlag gegeben haben. Rückfragen beim Stadtarchiv Herford ergaben keine Hinweise auf die Überlieferung der fotografischen Glasplatten der Einzelaufnahmen.
Geschrieben wurde die Postkarte von H. Meyer an Fräulein Anna Stohlmann in Bielefeld. Sie stammte aus der Besitzung Stohlmann Preußisch Oldendorf Nr. 18 an der heutigen Rathausstraße, früher Bahnhofstraße. Es heißt dort: »Liebe Anna, deine Karte bei guter Gesundheit erhalten, wie du dieselbe verlassen. Vater war mit Charlotte Pfingsten hier, werde sie nächsten Sontag zum Kirschen Essen einladen, falls Du Ferien hast, sehen wir Deinem Besuch mit freuden entgegen mit Gruß .... H. Meyer u. Frau.« Die Postkarte kam am 10.7.1908 in Bielefeld an.
Von besonderem Interesse sind die Bildmotive. Oben rechts ist eine Panoramaansicht von Pr. Oldendorf mit der Spiegelstraße und der St. Dionysius-Kirche noch ohne die Süderweiterung zu sehen. Die beiden Häuser im Vordergrund, links das Eiscafe Venezia, früher die Familien Mende und Wolff und rechts die Besitzung der Familie Pfannkuche, früher Bäckermeister Gruppe, stehen heute noch.
Auf dem Kirchplatz stand früher das sogenannte Kriegerdenkmal. Die links oben abgebildete Frauengestalt mit Flügeln im oberen Teil des Denkmals wurde in Oldendorf in den 50-Jahren auch als »dat flügge Wiff« bezeichnet, und manche sahen in dieser Skulptur auch einen Engel. Als es um die Neugestaltung des Kirchplatzes ging, gab es sogar einen »Engelsausschuß« bei der Stadt Pr. Oldendorf. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Nachbildung der Siegesgöttin Viktoria des bekannten klassizistischen Berliner Bildhauers Christian Daniel Rauch. Das Kriegerdenkmal wurde auf dem Kirchplatz nach dem Krieg 1870/71 vom neugegründeten Kriegerverein im Jahre 1873 aufgestellt. Unter der Siegesgöttin ist über einem Holzgebäude mit gekreuzten Hammer und Schlegel »Kohlen Zeche« zu lesen.
Pr. Oldendorf hat tatsächlich eine Bergwerksgeschichte. Im 18. Jahrhundert gab es Schürfversuche im Wiehengebirge; 1840 nahm die Kohlenzeche Amalia ihren Betrieb auf, deren Spuren in Form von Pingen und den Resten eines Haspelschachtes noch an der Bergstraße zu sehen sind. Nach zeitweiligem Stillstand übernahm der Hotelbesitzer Rudolph aus Hannover das nun nach ihm benannte Bergwerk und erweiterte die Anlage durch das neue Bergwerk Rudolph II mit einem 852,2 Meter langem Stollen, dessen Mundloch sich an der Landesgrenze bei Dahlinghausen befand. Der eingefallene Stollen ist heute noch zu sehen. Auf dem Bild ist das Zechengebäude um 1900 dargestellt. Gefördert wurde eine brennbare, als Steinkohle angesehene, Masse. Nach neueren Forschungen handelte es sich jedoch um ein Erdölderivat, wissenschaftlich Impsonit genannt.
In der Mitte der alten Postkarte taucht die Bezeichnung »Trotzenburg« als Bezeichnung der Gesamtanlage in Zusammenhang mit einer Windmühle auf. In Oldendorf gab es nämlich eine sogenannte »Holländerwindmühle« im Bereich der heutigen Straße »Trotzenburg« am Friedhof. Sie wurde 1815 von dem damaligen Küster und Organisten der Oldendorfer Kirche Karl Ludwig Göring angelegt. Göring war als Organist und Küster auch der zweite Schullehrer und eine sehr schwierige und eigensinnige Persönlichkeit. Nach 1822 baute sich Göring an der heutigen Friedhofstraße ein großes, geräumiges zweigeschossiges Wohnhaus, wie es kein Oldendorfer Bürger besaß. Die Oldendorfer Bürger gönnten ihm dieses schöne Haus nicht und sagten nach der mündlichen Überlieferung: »Das Haus hat Göring uns zum Ärger und Trotz erbaut«.
Als der Tischlermeister Duncker Nr. 85 auf der anderen Straßenseite ein neues Haus errichten wollte, torpedierte Göring die Baugenehmigung mit dem Argument, dass dieses geplante Haus den Windzug für seine Windmühle behindere. Duncker ließ dies jedoch nicht ruhen. Nach entsprechender geheimer Vorbereitung ließ er dann seinem Nachbarn Göring zum Trotz die Ständer des Fachwerkhauses in einer einzigen Nacht errichten. Auf diese Weise entstand der Name Trotzenburg in Zusammenhang mit dem Bau des Hauses Nr. 85; später wurde im Volksmund auch die Windmühle danach benannt.

Artikel vom 19.07.2005