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Das Wort zum Sonntag

Von Martin Schotte, Bünde


Gespannt warten die Zuschauer im Zelt auf den Beginn des Zirkusprogramms. Die Manege ist dunkel. Ein Scheinwerfer flammt auf und wirft einen Lichtkreis in das Rund. Oleg Popow, der berühmte Clown, tritt aus dem Dunkel. In viel zu großen Schuhen, mit einem viel zu weiten Mantel watschelt er mit einem Koffer auf den Lichtkreis zu und räkelt sich wohlig darin.
Das Licht jedoch wandert weiter. Oleg Popow sitzt wieder im Dunkeln. Mit seinem Köfferchen läuft er dem Licht nach. Jetzt legt er sich mit seinem Körper auf das Licht und versucht es festzuhalten. Doch wieder geht das Licht weiter und lässt den Clown im Dunkel. Noch einmal läuft er dem Lichtkreis nach und beginnt das Licht in seinem Koffer einzufangen. Es scheint zu gelingen, denn plötzlich ist die Manege dunkel. Dann öffnet er den Koffer und schüttet das Licht mit ausladenden Bewegungen in das große Zirkuszelt. Es wird taghell unter dem Zeltdach. Die Zuschauer, ganz im Banne des Clowns, atmen tief durch und klatschen begeistert Beifall. Eine seltsame Mischung aus Heiterkeit und Nachdenklichkeit hat sie erfasst. Das große Programm des Abends beginnt. Oleg Popow, ein Mensch auf der Suche nach Licht, nach Wärme, nach Geborgenheit. Nicht nur eine geistreiche Idee, sondern auch eine symbolische Geschichte, die uns sehr nahe kommen kann.
Wir Menschen suchen Licht für unser Leben. Licht in den Dunkelheiten unserer Zeit. Licht in unseren existenziellen Fragen, deren Antworten oft im Dunkel liegen, zum Beispiel die Fragen nach Leid und Tod. Aber auch: Wie bekomme ich einen Ausbildungsplatz? Was wird, wenn ich arbeitslos werde? Wer bin ich eigentlich und warum habe ich manchmal das Gefühl, neben mir zu stehen? Im kalten Licht von Neoreklamen gibt es keine Antworten.
Jesus sagt einmal: »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt wird nicht in der Finsternis bleiben« (Johannes 8, 12). Nur eine fromm angestrichene Aussage der Bibel, die längst nicht mehr in unsere Zeit passt? Der frühere ceylonesische Bischof D. T. Niles hat eine gewagte Aussage gemacht: »In der Welt leben, in der Christus gestorben und auferstanden ist, heißt, in einer Welt leben, in der Christus unser Zeitgenosse ist«. Jesus Christus ist kein Irrlicht, das uns auf den falschen Weg führt. Er ist keine Tranfunzel, unter der wir die Antworten auf unsere Fragen gar nicht erkennen können. Er ist das Licht für alle Menschen. Doch er lässt sich weder anknipsen wie eine Zimmerlampe, noch in einem Koffer einfangen, wie bei Oleg Popow. Er ist die Herausforderung zum Leben. Niemand kann ohne Licht leben. Auf die Fragen unseres Lebens gibt er keine Patentantworten und die Antworten, die er zu seiner Zeit gibt, sehen oft anders aus als wir denken. Oft ist es, als würde die Lichtquelle erst ganz schwach zu leuchten beginnen, wie bei einem Dimmer. Wir hätten gern gleich alles wie von vielen 1000 - Watt - Strahlern erleuchtet, hätten gern unsere Sicherheiten. Die bietet Jesus nicht. Doch er bietet uns das Leben, in dem er als der Gekreuzigte und Auferstandene mit dabei ist. Auch in unseren Dunkelheiten, die er hell machen will. Herausforderung zum Leben ist Herausforderung zum Glauben. Glauben heißt: Sagt dem Abenteuer, ich komme!

Artikel vom 16.07.2005