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Wahrheitsfindung mit Hindernissen

Schuldhaftes Verhalten der Angeklagten war vor Gericht nicht nachzuweisen - Freispruch


Lübbecke (HoG). Weil sie eine Bekannte veranlasst haben soll, Einkäufe per Karte zu bezahlen, obwohl deren Konto keine Deckung aufwies, musste sich gestern eine 36 Jahre alte Lübbeckerin vor dem Amtsgericht verantworten. Bereits am Dienstag hatte dieser Fall verhandelt werden sollen, doch eine Zeugin war nicht erschienen. Dabei handelte es sich um die Frau, die die Einkäufe getätigt hatte.
Am Dienstag sei die krank gewesen und habe einen Arzt aufsuchen müssen, gab die 20-Jährige zu ihrer Entschuldigung an. Wie sich jedoch später herausstellte, war sie zumindest nachmittags im Freibad gewesen. »So schlimm kann es ja denn wohl nicht gewesen sein«, stellte Richter Dieter Stolte fest.
Die Zeugin war wegen ihrer ÝEinkäufeÜ bereits verurteilt worden. Gestern nun sollte herausgefunden werden, inwieweit die 36-Jährige daran schuldhaft beteiligt gewesen ist. Fest stand, dass die Zeugin in elf Fällen in verschiedenen Lübbecker Geschäften eingekauft und mit ihrer EC-Karte bezahlt hatte, obwohl ihr gerade erst eröffnetes Konto keine Deckung aufwies. Zumindest zum Teil hatte nachweislich die Angeklagte von diesen Einkäufen profitiert, denn dem Gericht lag ein Kaufvertrag zwischen der Zeugin und der Angeklagten über einen Staubsauger und ein Fernsehgerät vor. Die Angeklagte behauptete nun, sie habe der Zeugin zumindest 100 Euro auf die rund 350 Euro teuren Geräte angezahlt. Über den Rest sei Ratenzahlung vereinbart worden. Das ging auch aus dem Vertrag hervor, ebenso wie die Anzahlung. Die Zeugin hingegen beteuerte vehement, sie habe die 100 Euro Anzahlung nicht bekommen. Weshalb sie jedoch diese Anzahlung im Kaufvertrag bestätigt habe, vermochte sie nicht zu erklären.
Die Aussagen waren so widersprüchlich, dass weder Anklagevertretung noch Verteidigung die Hintergründe aufzuhellen vermochten. So stimmte auch das Vernehmungsprotokoll, dass die Zeugin vor der Staatsanwaltschaft in Bielefeld unterschrieben und somit dessen Richtigkeit bestätigt hatte, nicht mit ihren gestrigen Aussagen überein. Auch habe sie nicht bei der Angeklagten gewohnt, wie diese ausgesagt hatte, sondern nur hin und wieder dort geschlafen, gab sie an. Auch sei sie von der Angeklagten unter Druck gesetzt worden, »sonst passiert etwas«, wobei vor Gericht gestern auch Namen genannt wurden.
Zumindest war der Angeklagten nicht nachzuweisen, dass sie die Zeugin zu den Käufen veranlasst und auch von dem Umstand gewusst hatte, dass deren Konto nicht die entsprechende Deckung aufwies. So beantragte die Anklagevertretung Freispruch und der Verteidiger schloss sich diesem Votum natürlich an.
Amtsrichter Stolte sprach dann auch ein entsprechendes Urteil, obwohl er keinen Zweifel daran ließ, dass er den Ausführungen der Angeklagten nicht so recht glauben mochte. Zumindest redete er ihr abschließend eindringlich ins Gewissen, den Fernseher und den Staubsauger bei der Zeugin zu bezahlen. »Bringen Sie das in Ordnung«, riet er ihr.

Artikel vom 15.07.2005