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Ein Plumpsklo über der Jauchegrube

Zeitzeugen erinnern sich an Besatzungszeit nach dem Krieg - Beitrag im Deutschlandradio

Von Moritz Winde (Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). »Mit den Briten hatten wir nicht die geringsten Probleme.« Günter Backs brachte die einstimmige Meinung auf den Punkt und sprach damit den vier anderen Zeitzeugen aus der Seele. Die Bad Oeynhausener, die die Besatzungszeit der Engländer selbst miterlebten, schilderten ihre Eindrücke und Erlebnisse 60 Jahre nach Kriegsende der Journalistin Inge Jagalla vom Deutschlandradio.

Die extra aus Bonn angereiste Reporterin staunte nicht schlecht über die Ausführungen von Lina Struck, Heinz Brandt, Maria und Günter Backs sowie Erwin Knollmann. Und jeder hatte seine eigene Geschichte zu erzählen. Doch eines konnten alle fünf Zeitzeugen bestätigen: Sie kamen mit den Briten weitestgehend gut zurecht. »Klar ist doch, dass wir keine Freundschaft mit den Soldaten geschlossen haben. Wir respektierten uns jedoch gegenseitig«, erinnerte sich Maria Backs, die als 19-jährige Frau, genau wie ihr Ehemann Günter, unmittelbaren Kontakt zu den Besatzern hatte.
Die Briten hatten ihr Hauptquartier auf mehrere Orte verteilt. Das militärische Oberkommando befand sich in Bad Oeynhausen. Im Hauptquartier der britischen Armee, dem Königshof, arbeiteten Maria und Günter Backs als Kellner. »Da hatten wir es nur mit hohen Offizieren zu tun, die sich allerdings freundlich und verständnisvoll zeigten. Die wussten schon, was sich gehört«, sagte Günter Backs, dem es ähnlich wie seiner Ehefrau zu Gute kam, fließend Englisch zu sprechen.
Da hatte es Lina Struck schon schwieriger, die während ihrer Ausbildungszeit als Notariatsgehilfin bei einem Rechtsanwalt von den Engländern abgezogen wurde, um im Hauptquartier als Sekretärin zu arbeiten. »Ich war natürlich verängstigt und nicht nur wegen der fremden Sprache unsicher«, sagte die Wulferdingsenerin, die ihre Tätigkeit jedoch mehr als zehn Jahre gewissenhaft ausführte und genau wie alle anderen deutschen Arbeiter ihren Lohn ausgezahlt bekam.
»Ich erinnere mich, 50 Pfennig die Stunde erhalten zu haben«, erzählte Heinz Brandt. Der damals 15-Jährige wurde von den Besatzern aufgrund seines geringen Alters als Liftboy im Hohenzollernhof eingesetzt. Dieses Gebäude, direkt gegenüber des Hauptbahnhofes, diente als Kantine für die englischen Truppen. In dem während des zweiten Weltkrieges noch als Lazarett genutzten Hauses tummelten sich anschließend junge Engländerinnen, die auf die Verteilung in verschiedene Aufgabengebiete warteten. »Da war das Flirten an der Tagesordnung«, sagte Heinz Brandt, ohne sich ein Schmunzeln verkneifen zu können. In dieser Zeit lernte der Volmerdingsener auch seine damalige britische Freundin Yves kennen, mit der Heinz Brandt ein »Techtelmechtel« hatte, wie er sagte.
Doch auch wenn er einige schöne Erinnerungen an diese Zeit hatte, so gab es dennoch Schattenseiten. Insbesondere die Unterbringung der vielen Flüchtlinge und die katastrophalen hygienischen Bedingungen stellten die Menschen vor große Schwierigkeiten. »Wir lebten in einem Einfamilienhaus mit elf Personen. Das Plumpsklo bestand aus einem Holzbalken direkt über der Jauchegrube«, erinnerte er sich mit vor Ekel gesträubten Nackenhaaren an die fast menschenunwürdigen Zustände.
Doch die Bad Oeynhausener hatten keine Wahl und mussten jeden erdenklichen Wohnraum zur Verfügung stellen. »Da nahm man natürlich lieber Bekannte, als vollkommen fremde Leute auf«, sagte Erwin Knollmann, der als Neunjähriger mit seinen Eltern in Eidinghausen die Kaufmannsfamilie Hitzemann während der Besatzungszeit beherbergte. Die komplette Innenstadt war von den Engländern mit Stacheldraht abgesperrt worden, so dass jeder von dort evakuiert werden musste.
Die gut 20-minütige Radiosendung »Länderreport« ist im Deutschlandradio (Frequenz 97.70) am 27. Juli um 13.05 Uhr direkt nach den Nachrichten zu hören.

Artikel vom 13.07.2005