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Von Helden, die sich immer
wieder neu erfinden

MARTa: Diedrich Diedrichsen dozierte über Pop

Herford (bex). Von Pop-Musiker Brian Eno stammt der Satz: »Über Musik zu schreiben, ist wie zu Architektur zu tanzen.« Einer der es trotzdem seit Jahrzehnten macht - das Schreiben, nicht das Tanzen - ist Diedrich Diedrichsen. Der deutsche Pop-Papst war am Donnerstag bei MARTa zu Gast, um über den Begriff des Helden in der Pop-Musik zu referieren. Für die Zuhörer war sein streng akademischer Vortrag allerdings durch zweifache Verständnisschwierigkeit getrübt.

Nicht nur, dass Diedrichsen sich in gewohnt kryptisch-abstrakter Sprache über das Thema ausließ, auch die Akustik im MARTa-Forum erschwerte die Aufnahmefähigkeit. Nicht wenige Zuhörer verließen noch vor Ende der 50-minütigen Vorlesung den Saal.
Der in Berlin lebende Publizist, Dozent und Pop-Theoretiker hatte seinen Vortrag unter die Überschrift »Metamorphosen - Poser, Götter, Heldensagen« gestellt. Wie bei Diedrichsen üblich, durfte man bei seinen Thesen einen fundierten theoretischen Überbau erwarten. Angefangen bei Ovids »Metamorphosen« abstrahierte er das spätkulturindustrielle Phänomen Pop-Star bis an den Rand der Unverständlichkeit.
Der ein oder andere interessante Gedanke blieb beim konzentrierten Zuhörer jedoch hängen. Die Kunstfigur Pop-Star gewinne ihre Faszination für den Fan aus der Verbindung des »intimen Gebrauchs zu Hause«, also beim Musikhören in den eigenen vier Wänden, und seinem Auftritt in der Öffentlichkeit. »Die ungeschützte, intime Rezeption daheim ist Trost spendend.« In der Öffentlichkeit zeige der Rezipient dann mit Begeisterungsbekundungen in Konzerten ebenfalls ungeschützt intime Gefühle. Diedrichsen vergleicht diese bis in das Körperliche gehenden Reaktionen - beispielhaft die Massen-Hysterie der »Beatlemania« - mit »religiösen Gesten der Bezeugung«.
Das Phänomen Pop-Star beinhalte die Möglichkeit zur Verwandlung einer Alltagsperson in den Star und wieder zurück. Dieser Wandel sei bei einigen Protagonisten sogar Konstante: David Bowie oder Madonna hätten sich über Jahrzehnte hinweg immer wieder »neu erfunden«. Seit den 70-er Jahren gebe es allerdings eine weitere Strategie der Pop-Star-Inszenierung: die Authentizitätsrolle. Musiker wie Bruce Springsteen geben vor, »echt« zu sein. Es werde suggeriert, dass private und öffentliche Person ein und dieselbe seien. Ausfluss dieses Konzepts »Rockism« sei »echte, ehrliche, handgemachte« Rockmusik - ganz im Gegensatz zu den »instabilen« Rollen der Glam-Rock-Zeit der frühen 70-er, die bewusst künstlich inszeniert wurden (Queen, Roxy Music, Bowie).
Aber genau diese Ambivalenz, dieser »Kunstvorbehalt«, wie Diedrichsen es nennt, müsse vorhanden sein, damit Pop-Musik funktioniere. »Die Möglichkeit zur realen Verwandlung von Alltagsperson in Pop-Star ist das Versprechen des Pop.«

Artikel vom 09.07.2005