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Der Herr Doktor geht auf große Fahrt

Volker Rätz bereist als Schiffsarzt die Weltmeere

Von Sandra Vogt
Bad Oeynhausen (WB). »Warum soll ich mir hier weiter das Leben schwer machen?«, fragt Dr. Volker Rätz. Ende Juni hat der Mediziner seine Praxis geschlossen. Als Schiffsarzt geht er jetzt auf große Reise.
Schiffsarzt in Uniform: Als Crew-Mitglied trug Volker Rätz schon bei seiner ersten Kreuzfahrt im Jahr 2000 Weiß.

Mit einem großen Abenteuer will Volker Rätz sein Vorhaben nicht vergleichen. Und auch mit der Erfüllung eines lang gehegten Traums habe sein Aufbruch auf die sieben Weltmeere wenig zu tun. Volker Rätz, der 1980 nach Bad Oeynhausen kam und seit 1990 am Kaiser-Wilhelm-Platz praktizierte, ist ein Pragmatiker - ein Mann, der handelt, wenn es Zeit dafür ist. »Ich will mich nicht länger mit dem Gesundheitssystem herumärgern. Da habe ich einfach keine Lust mehr zu«, sagt der 63-Jährige. Seine Patienten werde er allerdings schon vermissen. »Und über deren Abschiedsanzeige in der Zeitung habe ich mich richtig gefreut.«
Trotz allem - Wehmut will kurz vor dem großen Aufbruch nicht aufkommen. Zu sehr hat Volker Rätz die bürokratisierte Arbeit satt, zu sehr freut er sich auf neue Menschen, neue Gesichter und neue Situationen. »Man muss nur kontaktfreudig genug sein, dann wird man auch auf einem Schiff schnell Anschluss finden.«
Der Allgemeinmediziner muss es wissen, schließlich ist die große Reise nicht seine erste Fahrt auf einem Kreuzfahrtschiff. Als Passagier ging es 1992 zur Hochzeitsreise das erste Mal an Deck. »Damals bin ich mit meiner zweiten Frau auf der alten ÝEuropaÜ gefahren. Auf dem neuen Schiff habe ich im Jahr 2000 das erste Mal als Schiffsarzt angeheuert.«
Zu seiner dritten Reise als medizinischer Begleiter ist Volker Rätz bereits aufgebrochen. Bevor es auf die Weltmeere geht, schippert der Oeynhausener nämlich erst mal die Elbe von Hamburg bis Dresden entlang. »Irgendwas musste ich ja in der Zeit von der Praxisaufgabe bis zur großen Tour machen«, erzählt der Mediziner.
Romantische Vorstellungen von der Arbeit eines Schiffsarztes lässt er nicht gelten. »Natürlich ist die Arbeit auf einem Kreuzfahrer anders als der übliche Praxisalltag. Aber auch da stellt sich nach einiger Zeit eine gewisse Routine ein.« Richtig gefordert sei ein Schiffsarzt erst bei akuten Krankheiten oder Notfällen. »Einmal saß ich mit einer ausgekugelten Hüfte in der Antarktis fest. Da kommt dann kein Rettungswagen und kein Hubschrauber«, erzählt der Mediziner, der zuvor noch nie eine Hüfte behandelt hatte. »Da ist Disziplin und Sinn für ungewöhnliche Situationen gefragt. Im Endeffekt hat dann auch alles gut geklappt«, erinnert sich Rätz.
Für den Allgemeinmediziner ist die Arbeit auf dem Kreuzfahrer keine Urlaubsreise. »Eine Sprechstunde gibt es hier wie dort«, erzählt der Seefahrer, der schon im November einmal um Südamerika herum gefahren sein will. »Bei dem hohen Altersdurchschnitt, der teilweise auf den Schiffen herrscht, hat man es mit den gleichen Leiden wie an Land zu tun. Nur, dass es gerade für Medikamente teilweise eingeschränkte Möglichkeiten gibt.«
Seine Praxis hat Volker Rätz endgültig geschlossen. Einen Nachfolger gibt es nicht. Bis zu seiner Rückkehr im kommenden Jahr werden Stethoskope, Akten und Behandlungsgeräte aber an Ort und Stelle verweilen. »Wenn ich wiederkomme, werde ich ein bisschen Betriebsmedizin weiter machen und einige Betriebe betreuen«, versichert der Mediziner. »Da muss ich ja nicht jeden Tag sein.« Seine neugewonnene Freiheit wird Volker Rätz nicht mehr aufgeben. Frei und ohne Verpflichtungen - auch ohne seemännischen Entdeckergeist hat sich ein Traum erfüllt.

Artikel vom 06.07.2005